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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 51

Text

ADONAI. 51 3.

Meine Liebe flattert, ein neckender Zephir,
Um alle Duftblüthen deiner Frühlingsseele;
Meine Liebe braust um alle deine Felsen,
Wie ein Himmelssturm die weite Erde umarmt.

Meine Liebe ist wie der thätige, rastlose Tag,
Der immer wieder neuerschafft;
Aber auch wie die lautlos edle Mitternacht,
Die jedes Wehen durchheiligt.

Meine Liebe ist wie das wirre Chaos,
Das in sich selbst herumkreist;
Meine Liebe ist wie die heilige Ruhe,
Die nichts mehr kennt — ausser sich.

4.

In allem Sichtbaren
Habe ich dich umarmt,
Aus allen Unbegreiflichkeiten
Hast du mich wiedergeküsst.

Alles Sichtbare
Will ich dir dafür schenken,
Aus allen Unbegreiflichkeiten
Soll dir strömen mein Königsdank.

Wachsen wirst du
Ueber alles Geborene;
Die Umarmung unserer Liebe
Erneuert das Antlitz der Welt.

Deine Seele wird eine Sonne sein,
Die Sonne aller Sonnen;
Ich aber bin eine waltende Kraft,
Die ewige, alldurchwirkende.

So wächst aus unserer Umarmung
Das endlos Kreisende;
Das Unbegreifliche
Wird geboren in unserer Liebe!

Wien. Freiherr Karl von Levetzow.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 51, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-02_n0051.html)