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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 53

Text

DIE HEILSARMEE. 53

zwängten sich in die gelben Himmelsbänke — weil der Platz schon
rar war — und schlüpften ineinander hinein wie die kleinen Vögelchen,
die man inséparables nennt, und lachten sich an mit dem gelbüber-
strahlten Antlitz.

Und dem Fremdling, der plötzlich mit seinem schmutzigen Reise-
anzug in diese strahlende Umgebung gerathen war, schaute ein schlankes,
schwarzes Mädchen tief aus dem Höckerhut, aus tief versteckten Augen
entgegen und sagte halb mitleidvoll: »Kommen Sie endlich? Wollen
Sie gerettet sein?« — — und als der Fremdling nicht wusste, was er
sagen sollte, da er mehr die Commis-voyageur-Sprache gewöhnt war,
fuhr sie mit versprechendem Himmelsglück fort: »Ach, kommen Sie!
Kommen Sie zu uns! Hier ist Ihr Platz. Er ist seit Langem be-
reitet «

Und Alle schauten um und strahlten vor Glück, und: »Ach,
Amän, Amän!« beglückwünschten sie Alle, und huschten und schmiegten,
und einzelne lautjubilirende Töne hörte man, einzelne laute, klirrende
Töne, wie von gelben Kanarienvögeln, hohe, discantartige Töne, die
die jüngsten Mädchen ausgestossen hatten.

Und der schwarze Heilsarmeeengel blieb an der Seite des
Fremdling und machte ihn auf Alles aufmerksam und bereitete sein
Glück. Wie Beatrice blieb er an der Seite des aus der Hölle kom-
menden Dante und gab ihm ihre Seele zu kosten.

Und als sich das Jubiliren nicht mehr länger aufhalten liess, und
einzelne Stimmchen schon die höchsten gelben Triller probirt hatten,
Andere mit kleinen Jauchzern, wie vor dem Aufgehen der gelben
Sonne, ihre Lerchenkunst hinausgeschmettert hatten, brach es plötzlich
mit elementarer Gewalt los, wie tausend Staare, auf den gelben
Bänken, alle diese schmächtigen, plattbrüstigen Mädchen mit frechem
Schnetterengdeng und gelbem Trompetenschall:

Der Jäsus liebt die Sündär,
Der Jäsus hat sie gern.
Ja, der Jäsus liebt die Sündär,
Ach, er hat sie wirklich gern

Und wiegend und schwebend, wie grosse farbige Papageien oft
in ihrem schwankenden Messingring, hatten sich Einzelne erhoben und
schlürften tanzend über den Estrich zwischen den gelben Bänken,
Andere hatten den ach so mageren Arm erhoben und schlugen den
Takt und feuerten Alle an, heller und freudiger zu singen. Und Alle
schauten sich an mit gelbem, freudigem Wiedererkennen.

Und der schwarze Engel raunte dem Fremden ins Ohr: »Unser
Glück! Ach, kommen Sie zu unserem Glück!«

Dann plötzlich, als der Gesang verstummt war, stürzten sie Alle
nieder, zwischen den gelben Bänken die schwarzen, hageren Gestalten,
lautlos fielen sie nieder zwischen den langgestreckten Holzaltären,
stützten den rechten Arm auf und vergruben das Gesicht in der ge-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 53, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-02_n0053.html)