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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 55

Text

DIE HEILSARMEE. 55

als wollten sie leise auf die Himmelsfreude hinweisen, und mit feinen
Stimmchen repetirten sie:

»Der Jäsus liebt die Sünder,
Der Jäsus hat sie gern.
Ja, der Jäsus liebt die Sünder,
Ach, er hat sie wirklich gern.

Dradiralirolliro! — Dradiraliriddidi! — « und schlössen das feinste
und beste Schweizer Gejodel mit Kanarienzwitschern an.

Aber der Commis war ein entschlossener Weltmensch. Für ihn
war überhaupt diese ganze Heilsarmeevorstellung nichts weiter als eine
Sensation. Und er machte sich resolut Bahn.

Aber vorne an der Thür war alles verriegelt. Und nur die Herzen
dieser geknickten, weltverlassenen, armen Mädchen standen ihm offen.

»Kinder,« meinte er, »ich muss mein Rendez-vous halten; das
verlangt schon meine Ehre.«

Sie aber flehten noch einmal mit ihrem herzinnisgten Stammeln:
»Ach bleiben Sie bei uns!« und streckten ihm die vergilbten, blut-
leeren Arbeitshändchen entgegen.

Nun ging er nebenan, als wolle er einen zweiten Ausgang suchen,
und — kam in die Garderobe der Damen.

Jetzt gaben sie nach und öffneten ihm die Hauptthüre.

Und nun ging er hinaus.

Und drinnen zwischen den Bänken lag der gelbe Sonnenblumen-
schein glücklicher Seelen.

Dann schloss sich hart die Thüre.

Und nun stand er wieder draussen in der finsteren, schwarzen
Nacht.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 55, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-02_n0055.html)