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und bei den Kindern: Vertrauen, welches dem Verstehen am nächsten
kommt. Und dann in ihren Händen: bei den Greisen: Zweifel,
Schrecken bei Männern und Frauen, Sehnsucht — bei den Jungfrauen,
und die Hände der Kinder machen halb unbewusst die fremde Geste
des Wunderbaren nach, welches Thun dem Verstehen am nächsten
kommt. Muss da dieses Wunderbare für Andere auch sichtbar sein?
Ist es nicht, wenn es in so vielen Augen sich spiegelt, wenn so viele
Lippen es bekennen und wenn alle Hände ihm nachsehnen. Ich will
es beschwören, es war etwas vor dieser Menge. Etwas ausser der
grauen von irren Kohlen strichen durchkreuzten Leinwand, welche über
den prächtig bewegten Menschen sich leer ausdehnte. Später malte
Herr v. Uhde leider etwas Anderes in diesen Raum, was gar nichts
mit der Gruppe zu thun hatte, und nannte es aus alter Gewohnheit —
Christus.
Ja, das macht die Gewohnheit. Wenn man schon einmal Christus-
maler ist, darf man das Publicum nicht enttäuschen. Wie die Anderen
aus diesem Gefühl heraus ihr »jährliches Drama« schreiben, so muss
man seinen »jährlichen« Christus malen. Und als Belohnung für Fleiss
und Beharrlichkeit kauft ein königliches Institut endlich aus der Wahl
von Erlösern einen an. Und zwar den officiellsten: die Himmelfahrt.
Und nun ganz aufrichtig: das Wenigste, was man von einem königlich
sanctionirten Christus verlangen muss, ist, dass er fliegen kann. Und
weil es dem Angekauften ziemlich beschwerlich fiel, so musste Herr
v. Uhde ihm jetzt wohl in seinem Atelier noch ein paar Privatstunden
dieser überaus intimen Kunst angedeihen lassen, ehe er dauernden Auf-
enthalt in der Pinakothek erhielt; denn darauf zielt eigentlich der be-
wusste Satz von der »Aenderung« hin.
So weit sind wir also: Herr v. Uhde ändert seinen Christus.
Das ist sehr traurig, denn es beweist, dass er ihn im Grunde nicht
sehr deutlich sieht, wenn er ihn nun »zahlreichen Wünschen ent-
sprechend« pinakothekfähig macht. Als er die treffliche Gruppe malte,
da steckte er sich wohl ein wenig an an ihrer Begeisterung, aber als er
die Heilandsgestalt ihnen vorsetzte, stand er nicht mehr mitten unter ihnen.
Dort waren die Menschen, und hier war der Maler, der einen fest-
stehenden Christustypus geschaffen hat, der Gebildete, der Edelmann,
der königlich sächsische Uhlanenrittmeister, welcher wie jedes Dogma
natürlich auch das der Himmelfahrt in Bausch und Bogen glaubt und
für seine Person bei einem solchen selbstverständlichen Vorgang gar
nicht erstaunt wäre. Der von ihm geschaffenen »Auffassung« ist er ja
wohl einigen »Realismus« schuldig, d. h. der Erlöser, welcher sich
bislang so menschlich und unauffällig auf festem Boden bewegte oder
vom Uferkahn aus seine bekannte Predigt vor Herrn v. Uhde’s Töchtern
hielt, darf bei diesem ersten Versuch noch keineswegs mit allen
Finessen der Flugtechnik vertraut erscheinen. Das wahrt den gewohnten
Eindruck und schadet dem Dogma wenig. Thatsache ist: er kommt
doch hinauf — wir haben es ja schon auf der Schulbank gehört —
das Wie ist Nebensache. So ward Christi Himmelfahrt, Herr v. Uhde
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 231, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-06_n0231.html)