Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 241

Der Bär (Tschechow, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 241

Text

Wiener Rundschau.


15. FEBRUAR 1898.


DER BÄR.
Schwank in einem Aufzug von Anton Tschechow.
Uebersetzt von Eugenie Kliorin.
Personen: Helene Iwanowna Popowa, junge Witwe mit Grübchen in den Wangen, Guts-
herrin.
Grigorji Stepanowitsch Smyrnow, Gutsbesitzer in den besten Jahren.
Lukas, ein Greis, Bedienter bei Frau Popowa.

(Gastzimmer auf dem Popow’schen Gute.)

I.

Frau Popowa (im Trauerkleid, hält den Blick auf eine Photographie ge-
richtet) und Lukas.

Lukas. Das taugt nicht, gnädige Frau. Sie richten sich bloss
zu Grunde Das Stubenmädchen und die Köchin sind nach Beeren
gegangen, jegliches athmende Wesen freut sich des Daseins, sogar die
Katze weiss ihr Leben zu gemessen, spaziert auf dem Hofe herum und
jagt den Vöglein nach: Sie aber sitzen den ganzen lieben Tag in der
Stube wie in einem Kloster und haben gar kein Vergnügen. Aber
wirklich! Fast ein Jahr sind Sie nicht aus dem Hause gekommen.

Frau Popowa. Und werde es auch nie verlassen. Wozu auch?
Mein Lebenslauf ist beschlossen. Er liegt im Grabe, ich habe mich in
diesen vier Wänden begraben Wir sind beide todt

Lukas. Da haben wir’s! Es ist nicht anzuhören, wirklich! Ni-
colaus Michailowitsch ist gestorben, so hat es Gott gewollt Sie
haben ihn beweint — und genug damit, es muss doch mal ein Ende
haben. Soll man denn sein ganzes Leben lang weinen und Trauer-
kleider tragen? Auch ich habe seinerzeit meine Alte verloren. Einen
Monat habe ich sie betrauert, beweint, und das ist ganz genügend,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 241, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-07_n0241.html)