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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 201

Text

Wiener Rundschau.


1. FEBRUAR 1898.


GOLD.
Novelle von Adine Gemberg (Wittenberg).

Im Münzamt waren die Beamten damit beschäftigt, neugeprägte
Goldstücke in Rollen zu packen. Lange, der Münzinspector, wog jede
Rolle nach und schrieb dann darauf: »Fünfhundert Mark in Gold«,
»Eintausend Mark in Gold« u. s. w.

Man hörte nur das leise, ganz eigenthümliche Klirren des Goldes,
das Klappen der Wage, das Athmen der vier Männer, die hier bei
einer ganz mechanischen, tödtlich einförmigen Arbeit, von der ganzen
Aussenwelt isolirt, sassen.

Sie hielten den Nerv des Lebens in ihren Händen, und doch
umgab sie selbst die Stille des Todes.

Nur ihre Vorgesetzten, nur die Beamten der Münze, die ihre
Thätigkeit revidirten, hatten Zutritt zu dem mit allen möglichen Sicher-
heitsvorrichtungen versehenen Raum. Das ungezählte, ungewogene Gold
wurde einer Maschine entnommen, in die es an der Prägestätte ein-
gefüllt ward.

Der Inspector Lange hatte heute bereits eine Million notirt, die
von den Leuten verpackt, von ihm gewogen, gesiegelt und mit Auf-
schriften versehen war. Und immer noch klirrten die Doppelkronen
aus dem Schlitze des Automaten hervor. Es hatte den Anschein, als
rieselte hier ein Brunnen, ein Goldquell, der nimmer versiegen könne.

Und thatsächlich versiegte er ja auch nicht. Das Gold, das von
dieser Stätte einmal ausgegangen war, kehrte zurück, und immer
wieder formten die Zähler daraus die Rollen, die der Inspector mit
der Aufschrift ihres Werthes versah.

Eine Million! Wer würde sie besitzen und was würde sie ihrem
Besitzer gewähren?

Ja, wenn diese Summe ihm gehört hätte! Lange sann nach
— wenn sie ihm gehört hätte, dann hätte er wohl gewusst — —

Ja, man soll so etwas nicht denken l

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 201, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-06_n0201.html)