Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 191
Text
Von Frieda Strindberg (München).
»Einen goldenen Sattel auf einer hölzernen Mähre« hat jener alte
Schwede Gustav Adolf damals kopfschüttelnd das vielreizende München
genannt, in das er kämpfend einzog, weil es gar halsstarrig katholisch
weiterträumen und von nordischklarer Vernunft nichts wissen wollte.
Ihn wunderte dies Stadtjuwel mit den alten kostbarschönen Thürmen
und Thoren — den weiten Plätzen, die Weltenfürsten — den engen, trauten
Gässchen, die Dichtern zu gehören schienen. Denn wohl schlang sich
der Isargürtel wie ein grosser, leuchtender Smaragd darum — aber
weiterhin, weithin folgten nur mehr Fläche und Sand, schwerer,
lehmiger Boden, der keinem raschen Schritte, keinem üppigen Blühen
günstig ist. Das kleine reiche München lag wie ein Gotteswunder
da: Schönheit, wo man sie nicht erwarten durfte, doppelter
Herzenstrost.
Seither ist die Stadt herangewachsen. Aber das Königswort ist
wahr geblieben, ja, hat tieferen Sinn erlangt. München ist immer noch
der »goldene Sattel«, der leuchtende Punkt — es ist das traulich
stille Nest, in dessen Wärme das Leben gedeiht. Man frägt sich,
wie es hieher gekommen ist! Nicht allein in die oberbayerische Ebene,
der endlich doch die schneebedeckten Berge Schranken setzen —
nein, in das ganze grosse Deutschland, das hölzerne Deutschland,
das durch Wissen und Moral und Wollen unbeugsam ist, dem jedoch
das warme Blut in den Adern, das Lachen im Herzen und dadurch
ein frohes künstlerisches Schaffen fehlt. Denn wohl ist der Mensch
mit dem kategorischen Imperativ und der dazu gehörigen Vernunft
Herrscher über die Erde — drei Dinge, die gewöhnlich Hand in
Hand zu gehen pflegen, entziehen sich ihm doch: die Liebe, die
Kunst und der Genuss. Die wachsen nur aus dem Boden der Ur-
sprünglichkeit hervor, der frischen Naivetät.
Dieser Boden nun findet sich wundersamerweise in München.
Ihm ist die Schönheit der Stadt, vielleicht auch die Schönheit der
Menschen, jedenfalls aber die Bedeutung und der Charakter, die seine
Kunst gewann, entsprungen.
Die Münchener sind geborene Künstler, Biertrinker und Katho-
liken und das naivste, toleranteste, lebenslustigste Völklein der Welt.
Sie fragen die Menschen, die ihnen gefallen, nicht woher sie kommen
— die Freude nicht, was aus ihr wird — die Dinge, die ihnen passen,
nie nach ihrem eigentlichen Zweck. Die römischen Steinbögen scheinen
just gut genug zum Triumphzug stumpfnasiger Blondköpfchen zu sein
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 191, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-05_n0191.html)