Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 242
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sollte ich aber ewig lamentiren, so wäre die Alte es gar nicht werth.
(Seufzt auf.) Alle Nachbarn haben Sie vernachlässigt Weder fahren
Sie selbst aus, noch empfangen Sie jemand. Wir leben wie die Spinnen
und sehen nichts von der schönen Gotteswelt. Die Livrée ist von den
Mäusen zernagt worden Und wenn es noch an guten Menschen
mangelte! Der ganze Bezirk wimmelt ja von Herrschaften In Ryblowo
ist ein Regiment einquartirt, und die Officiere sind schön wie Confect,
man kann sich an ihnen nicht satt sehen! Im Lager aber findet jeden
Freitag ein Ball statt, und fast jeden Tag spielt dort Militärmusik
Ach, liebe, gnädige Frau! Sind ja jung, schön, kraftstrotzend und
könnten herrlich und in Freuden leben Schönheit ist ja ein ver-
gängliches Gut! Wenn Sie nach zehn Jahren selbst Lust bekommen,
Ihre Schönheit leuchten zu lassen, um den Herren Officieren den Kopf
zu verdrehen, so wird es schon zu spät sein.
Frau Popowa (energisch). Ich bitte dich, nie wieder darüber zu
reden! Du weisst ja, dass seit dem Tode des Nicolaus Michailowitsch
das Leben für mich werthlos geworden ist Dir kommt es vor, dass
ich noch lebe, aber das ist ein Irrthum Ich habe mir gelobt, diese
Trauerkleider bis an mein Ende nicht abzulegen und abgeschieden
von der Welt zu leben Hörst du es? Mag seine Seele sehen wie
sehr ich ihn liebe Ja, ich weiss es, dass es dir nicht verborgen
blieb, wie oft er mir gegenüber ungerecht war, grausam und . und
sogar treulos; ich aber will bis in den Tod hinein treu bleiben, ich
will ihm beweisen, welcher Liebe ich fähig bin Dort, jenseits des
Grabes soll er mich ebenso wiedersehen, wie ich es vor seinem Hin-
scheiden war
Lukas. Statt so was zu sagen, wäre es für Sie besser, in den
Garten hinauszugehen oder Tobby oder den Wjelikon vorspannen zu
lassen und die Nachbarn zu besuchen.
Frau Popowa. Ach! (Weint.)
Lukas. Gnädige Frau! Liebe, gute, gnädige Frau! Was fällt
Ihnen ein? Gott sei mit Ihnen!
Frau Popowa. Er liebte den Tobby so sehr. Er liess ihn
immer anspannen, wenn er zu Kortschagin’s und Wlassow’s fuhr. Wie
wundervoll er lenkte! Wie graziös war seine Gestalt, wenn er aus
allen Kräften die Lenkriemen straff zog! Entsinnst du dich? Tobby,
Tobby! Sage, man soll ihm heute ein Mass Hafer mehr geben.
Lukas. Zu Befehl!
(Man zieht heftig an der Klingel.)
Frau Popowa (auffahrend). Wer ist das? Sage, dass ich Nie-
mand empfange!
Lukas. Zu Befehl! (Ab.)
II.Frau Popowa (allein).
Frau Popowa (die Photographie betrachtend). Du wirst sehen,
Nicolaus, wie ich lieben und vergeben kann Meine Liebe wird erst
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 242, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-07_n0242.html)