Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 279

Ver sacrum Salus, »Gedichte«

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 279

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NOTIZEN. 279

haben die Bestrebungen gekenn-
zeichnet, welche die neue Ver-
einigung verfolgen will. Deren Mit-
glieder gesellten dem Worte zahl-
reiche und werthvolle künstlerische
Beiträge, und die Firma Ger1ach
und Schenk hat die äussere Aus-
stattung in geschmackvollster Art
besorgt. Wollen und Können be-
rühren in dieser Hoffnungsnummer
gleich sympathisch. Die productive
Rückwirkung der Gesinnung auf die
Kunst wird vielfach unterschätzt.
Sie vermag freilich kein Untalent
zu einer werthvollen Hervor-
bringung zu befähigen. Wohl aber
kann der begabte Künstler, der
sich von allen opportunistischen Ein-
flüssen frei hält, einen stärker ver-
anlagten, der sich in den Dienst
des Tagesbedürfnisses stellt, mit
seiner Leistung weit überflügeln.
Hermann Bahr hat den Nagel
auf den Kopf getroffen mit seiner
Erklärung, dass die Differenz
zwischen der Genossenschaft und
der neuen »Vereinigung« hier in
Wien nicht in dem Streite zwischen
dem Alten und dem Neuen, nicht
im Kampfe der Moderne gegen
die Tradition liege, sondern ledig-
lich eine Absage der Kunst an
das Geschäft bedeute. »Sollen die
Wiener verurtheilt sein, kleine In-
dustrielle zu bleiben, oder dürfen
sie es versuchen, Künstler zu
werden? Wer der alten Wiener
Meinung ist, dass Bilder Waaren
sind, wie Hosen oder Strümpfe,
die man nach der Bestellung der
Käufer anzufertigen hat, der bleibe
bei der ‚Genossenschaft‘. Wer
malend oder zeichnend das Ge-
heimniss seiner Seele in Gestalten
offenbaren will, der ist schon bei
der ‚Vereinigung‘. Nicht um eine
Aesthetik, sondern zwischen zwei

Gesinnungen wird hier gestritten:
Ob bei uns die geschäftliche Ge-
sinnung herrschen soll oder ob es
endlich erlaubt wird, nach einer
künstlerischen Gesinnung zu leben.
Dieses Recht will die Vereinigung
für die Maler erstreiten: das Recht,
Künstler sein zu dürfen.«

Das stimmt vollständig. Und
wer die Gegenprobe machen will,
der erfahre, dass das Blatt der
Vereinigung der Kleingewerbe-
treibenden und Kleinstgehirn-
besitzer darauf antwortete: Das
sei viel zu weit gegangen. Man
dürfe es dem ärmeren Maler nicht
verdenken, dass er male, wie die
Käufer es erwarten.

G. S.

Hugo Salus, Gedichte.
München. Albert Langen, 1898.

Diese Gedichte zeichnen sich
dadurch aus, dass sie unrhetorisch
sein möchten. Jedes Pathos ist
ängstlich vermieden. Es muss die
Ansicht des Autors sein, dass der
unlyrische, papierene Mensch von
heute kein aufrichtiges Pathos zu-
sammenbringt. Die Rückkehr zum
naiven, idyllischen Menschen scheint
ihm gleichzeitig die Rettung vor
dem entsetzlichen, rhetorischen, er-
kalteten Menschen von heute. Des-
halb macht er sich oft den Spass,
sehr pathetische Themen (z. B. der
h. Mai) als moderne Idylle zu be-
handeln. Diese Idyllen zeichnen
sich durch ihren natürlichen, warmen
Ton aus. Manchmal scheint es,
wie wenn Hugo Salus nur idyllisch
resigniren würde. Aber das unter-
schieben wir ihm, wir, die keine
idyllischen, sondern öffentliche,
schreierische, pathetische Charak-
tere sind Diese modernen
Idyllen sind ein gutes Buch.

st. gr.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 279, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-07_n0279.html)