Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 278

Carltheater Maximilian Harden Ver sacrum

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 278

Text

278 NOTIZEN.

kampf ist ein Unding. Vielmehr wird
das Ergreifen dieses Auskunftsmittels
im einzelnen Fall um so schwerer
zu rechtfertigen sein, je weniger ein
vorgeführtes Ereigniss einen für die
heutigen Zustände anormalen Aus-
gang vermuthen lässt. Je nichtiger die
Ursache, desto in die Augen springen-
der die Frivolität des Kampfes auf
Leben und Tod. In »Freiwild« han-
delt es sich aber um einen Conflict,
der die Lebensstellung der Betheilig-
ten in ihrem Fundamente erschüttert.
Es ist daher ein taktischer Missgriff,
gerade in einem Falle das Duell be-
kämpfen zu wollen, wo es kaum zu
vermeiden ist. Auch lässt sich dem
Duellgebrauche am schwersten bei-
kommen, wenn, wie in »Freiwild«,
eine thätliche Beleidigung vorher-
gegangen. Denn der Zweikampf be-
deutete zu einer Zeit, als der
Faustkampf zur Austragung von
Streitigkeiten noch gebräuchlich
war, ein Civilisationsmittel. Für
rückständige Culturen ist das
Duell auch heute noch das un-
erlässliche Entwicklungsstadium.
Schnitzler hat sich also einen so
complicirt schwierigen Fall con-
struirt, dass alle seine feinen und
geistreichen Geschosse an der
klotzigen Brutalität des Vorwurfes
abprallen mussten. Er hat die
Festung von der verschanztesten
Seite angegriffen, die Duellgegner
fast bekehrt, die Duellfürsprecher
nur verstockter gemacht. Es zeugt
sehr für sein Talent, dass er
wiederum trotz alledem einen, wie
es scheint, recht nachhaltigen
Theatererfolg erzielt hat.

—i— .

Maximilian Harden. Vor
ein paar Tagen hat sich Herr
Maximilian Harden den Mitgliedern
und Gästen der Wiener »Concordia«

vorgestellt. Herr Harden trug ein
sehr hübsches hochgeschlossenes
Sacco und eine lichte Weste. Sein
rosiges Schauspielergesicht ist glatt-
rasirt, Löckchen hat er in die Stirne
gekämmt. Die Damen schienen ent-
zückt. Auch was Herr Harden sagte,
war entzückend. Er erklärte offen
seine Bewunderung für Ibsen, »der an
die faulen Stellen des Gesellschafts-
körpers klopfe«, er entdeckte, dass
»Nietzsche und der Socialismus
unversöhnliche Gegensätze« seien,
dass Zola der »Dichter von Col-
lectivempfindungen« sei, und was
dergleichen Neuigkeiten mehr sind.
Das Beste an seinem Referat waren
seine boshaften Witzchen gegen
einige aufgeblähte moderne Mittel-
mässigkeiten; allerdings auch nur
suffisante Plattheiten. Im Grunde
aber gefiel Herr Harden, weil
er sich zum Interpreten des schwer-
fälligen Widerwillens gegen jeden
neuen Gedanken machte. Ibsen,
Tolstoj, Dostojewsky bewundern,
Gott, das gehört heute schon zum
bon ton, aber nun möchte man
auf diesen Rasenplätzen ausruhen.
Herr Harden hat diesem Trägheits-
gefühl mit seiner billigen Witzig-
keit Rechnung getragen. Es ver-
steht sich von selbst, dass seine
Wiener Nachtreter, welche sein
Trägheitsbedürfniss von heute, aber
nicht seine Bildung von gestern be-
sitzen, vor Freude hochgeröthet
waren

st. gr.

Ver Sacrum nennt sich das
neugeschaffene Organ der Ver-
einigung der bildenden Künstler
Oesterreichs — also unserer Se-
cession. Dr. Max Burckhard hat
den gewählten Titel sinnvoll er-
klärt, ein Ungenannter, aber nicht
Unbekannter und Hermann Bahr

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 278, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-07_n0278.html)