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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 277

Text

NOTIZEN.

Burgtheater. Vorige Woche
eröffnete ein Fräulein Giers, an-
geblich vom Hoftheater in Han-
nover, ein kurzes »Ehrengastspiel«
als Lady Macbeth. Es präsentirte
sich eine bejahrte, corpulente
Dame, die offenbar vor ihrem
gänzlichen Abschied von der
Bühne noch den Ehrgeiz hatte,
im Burgtheater aufgetreten zu sein.
Aussergewöhnliche Gründe haben
sich geltend gemacht, ihr diesen
Wunsch zu erfüllen. Wir nehmen gast-
freundlicherweise an, dass Fräulein
Giers mit besseren Erinnerungen
sich in die Heimat wird flüchten
können, als sie solche beim hiesigen
Publicum zurücklässt.

—i— .

Carltheater. »Freiwild.«
Schauspiel in drei Acten von
Arthur Schnitzler.

Es unterliegt keinem Zweifel,
dass ein gutes Lustspiel nicht
weniger werth ist als ein gutes
Schauspiel. Zu bedauern ist somit
der unmotivirte literarische Ehrgeiz
eines Schriftstellers, der hinlänglich
bewiesen hat, dass er jenes schreiben
könnte, doch immer wieder mit
falscher Tragik zu kommen. Die
Figuren, welche Schnitzler in seinem
»Märchen«, in der »Liebelei« und
jetzt in »Freiwild« auf die Bühne
bringt, bleiben so lange natürlich,
als man sie nicht in einen ernsten
Lebensconflict gerathen sieht. In
einen solchen gestellt, wirken sie
höchstens tragikomisch. Dies ist

ihr Endstadium. Wollte der Dichter
diese Wirkung erzielen, so wäre
hiegegen nichts einzuwenden. Er
überspringt aber willkürlich dieses
Stadium und überanstrengt dann
die seinen Bühnengestalten inne-
wohnenden Kräfte. Sie verlieren
im Verlaufe alle menschlichen
Triebfedern. Mängel und Vorzüge
der Schnitzler’schen Productions-
weise sind nie so deutlich wie in
»Freiwild« zu Tage getreten, wo
die stets actuelle, aber rein äusser-
liche Frage, die des Duells, be-
handelt wird. Mit modern künstle-
rischen Mitteln, die einem solchen
Thema längst entwachsen sind, ist
dieser mittelalterlichen Institution
nicht beizukommen. Je weiter die
Atavismen zurückreichen, desto
mehr gehen die Werkzeuge ver-
loren, sie auszurotten. Die mo-
derne dramatische Technik hat
sich zu sehr verinnerlicht, um
diesen im Stofflichen gebliebenen
Vorwurf aus dem Derben heraus-
arbeiten zu können. Es wider-
spricht der Plötzlichkeit, mit der
eine Duellaffaire hereinbricht, wenn
diese in dreiactiger Gemächlichkeit
sich abspielt; der vage Zusammen-
hang einer solchen Affaire mit Allem,
was ein Mensch sonst ist und thut,
schliesst die moderne dramatische
Behandlung aus, bei der es gerade
auf die natürliche Entwicklung von
Menschen und Dingen ankommt, die
aber ein Duell stocken macht. Ein
organisch sich entwickelnder Zwei-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 277, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-07_n0277.html)