Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 273

Ein überwundenes Wirtschaftsprincip (Dix, Arthur)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 273

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EIN ÜBERWUNDENES WIRTHSCHAFTSPRINCIP.
Von Arthur Dix (Berlin).

Das Geld, das nicht ausgegeben wird, hat seinen Beruf verfehlt.

Diese Weisheit ist freilich weder neu, noch sonderlich tief —
aber es gibt doch Menschen genug, die gerade das Gegentheil zu
glauben scheinen.

Noch billiger ist die Weisheit, dass der Geiz die Wurzel alles
Uebels ist; und was ist der Geiz Anderes als die Sucht oder das
Princip, möglichst grosse Summen Geldes ihrem eigentlichen Berufe
— ausgegeben zu werden — zu entziehen — in der That das un-
wirthschaftlichste Wirthschaftsprincip, also das Sinnloseste, was sich
denken lässt.

Sind die Geldsummen, die ihrem Beruf entzogen werden, gross,
ist die Einschränkung gross, die sich derjenige auferlegt, der diese
Summen ihrem Beruf entzieht, so spricht man von Geiz und verurtheilt
diese Handlungsweise, dieses Laster aufs Heftigste.

Sind die Summen relativ geringer, ist insbesondere die Ein-
schränkung geringer, so spricht man von Sparsamkeit und lobt diese
Handlungsweise, diese Tugend aufs Höchste.

Nun kann ein wenig begüterter Mann der Gesammtwirthschaft jähr-
lich, sagen wir 1000 Mark entziehen, eine Summe, die er nur unter
grossen Entbehrungen zusammenbekommen kann — ergo nennt man
ihn, und das mit vollem Recht, einen Geizhals. Ein mehrfacher
Millionär aber legt von seinen grossen Einkünften jährlich vielleicht
50.000 Mark zurück, ohne in seinen Ausgaben irgendwie zu knausern.
Wem wird es wohl einfallen, diesen Mann einen Geizhals zu nennen?
Im Gegentheil, seine luxuriöse Haushaltung trägt ihm vielleicht den
Beinamen eines Verschwenders ein.

Wer aber hat die Gesammtwirthschaft stärker geschädigt, der
Mann, der jährlich 1000, oder jener, der 50.000 Mark ihrem Beruf
entzieht, dem einzigen Beruf des Geldes: ausgegeben zu werden?!

Doch einigen wir uns zunächst über das Wörtchen »ausgeben«.
Sicherlich ist nicht anzunehmen, dass der Millionär sein Geld in den
Kasten legen wird; er wird es vielmehr möglichst gut anlegen, um sein
ohnehin schon so grosses Vermögen noch möglichst zu vergrössern.
Er wird das Geld also »ausgeben«, d. h. er wird Papiere dafür kaufen,
wenn er es nicht gerade in eigene Unternehmungen steckt. Wohl, so
hat er es ausgegeben; oder doch nicht so recht eigentlich — er hat es
angelegt, festgelegt, er kann es jederzeit wieder zurückziehen, die volle
Summe muss wieder bei der Hand sein und kann jederzeit wieder ihrem

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 273, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-07_n0273.html)