Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 274

Ein überwundenes Wirtschaftsprincip (Dix, Arthur)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 274

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274 DIX.

Beruf entzogen werden. Inzwischen aber kann das Geld umlaufen,
und indem es zehnmal seinen Zweck erfüllt, verzehnfacht es sich ge-
wissermassen — es thut dieselben Dienste wie die zehnfache Summe,
die nur einmal den Besitzer wechselt Und doch ist ein beträchtlicher
Unterschied im Umlaufe des »angelegten« und des »ausgegebenen«
Geldes.

Das angelegte Geld geht in die Production, fördert und vermehrt
dieselbe; zwar beschäftigt es einige Arbeitskräfte und gibt diesen
Nahrung, in der Hauptsache aber dient es dazu, neue Waaren auf den
Markt zu bringen, gleichgiltig, ob ein Bedürfniss iür dieselben vorliegt,
ob sie Abnehmer finden oder nicht. Das Geld ist der Consumtion
entzogen und dient zur Vermehrung der Production — also zur Ver-
stärkung des Missverhältnisses zwischen beiden.

Am ärgsten ist es, wenn das Geld nun gar in ausländischen
Papieren angelegt wird; dann schädigt es die heimische Production
nicht nur dadurch, dass es sich dem Consum entzieht, sondern doppelt
durch die Unterstützung der ausländischen Production. Anstatt den
heimischen Markt zu befruchten, unterstützt es die fremde Concurrenz.
Während die heimische Industrie — da ein grosser Theil des im In-
lande vorhandenen Geldes nicht ausgegeben, sondern dem Consum
entzogen wird, so dass der inländische Markt an Aufnahmefähigkeit
verliert — im Auslande ihr Absatzgebiet zu erweitern trachten muss,
um den Verlust auszugleichen, den die »Unterconsumtion« des In-
landes ihr bereitet, wird eben dasselbe Geld, dessen Fehlen auf dem
heimischen Markt die heimische Industrie zum Theil auf den aus-
ländischen Markt verweist, dazu verwandt, durch Förderung der Pro-
duction im Auslande ihr auch den Zutritt zu dem fremden Markt ab-
zuschneiden — eine doppelte Schädigung der heimischen, nationalen
Wirthschaft.

Ganz anders das ausgegebene Geld, das unmittelbar in der Con-
sumtion Verwendung findet; es leistet einmal dieselben Dienste wie
das angelegte Geld: es führt der Production neue Mittel zu, fördert
sie, beschäftigt eine Reihe von Arbeitskräften und gibt ihnen Nahrung;
dabei bringt es nicht Production und Consumtion in ein Missverhält-
niss, sondern lässt der Warenerzeugung den Bedarf folgen; es geht
den umgekehrten Weg, dient immer wieder neuer Consumtion und
erst auf diesem Umwege der Production; es läuft schneller und
häufiger um, es entlastet den Markt, anstatt ihn zu belasten. Das
Geld, das ich der Production zuführe, indem ich dem Markte Waaren
entnehme, befruchtet sie zweifellos ungleich mehr als das Geld, das
ich unmittelbar für die Vermehrung der Production vorschiesse — und
ihr jederzeit wieder entziehen kann — ohne ihr einen entsprechenden
Absatz zu gewährleisten oder selbst etwas zur Vermehrung ihres Ab-
satzes beizutragen. Sobald meine Existenz gesichert ist und ich dauernd
Geldüberschüsse über meinen gewöhnlichen Bedarf hinaus vorräthig
habe, thue ich weder mir, noch der Gesammtwirthschaft einen be-
sonderen Gefallen, wenn ich diese Ueberschüsse sammle, anlege, die

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 274, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-07_n0274.html)