Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 275
Text
Production damit vermehren helfe, ohne meine Ansprüche an den
Markt zu vermehren, oder diese gar noch einschränkend; ich thue
aber mir und der Gesammtwirthschaft einen sehr grossen Gefallen,
wenn ich das Geld nicht anlege, sondern ausgebe, wenn ich meine
Lebenshaltung auf eine höhere Stufe hebe, wenn ich mit grösseren
Ansprüchen an den Markt herantrete, die Production befruchte, indem
ich ihr nicht nur neue Mittel zumessen lasse, sondern selbst mehr
Waaren aus ihr entnehme. Soweit ich meine Zukunft und die meiner
Nachkommen sichern muss, kann ich es durch geeignete Versiche-
rungen aller Art thun; was darüber hinaus übrig bleibt, kann ich im
eigenen Interesse und im Interesse der Gesammtheit nicht besser an-
legen, als indem ich es ausgebe.
Während man den Geiz als Wurzel alles Uebels bezeichnet hat,
betrachtete man lange die Sparsamkeit als Wurzel alles Glückes. Und
das zu gewissen Zeiten und im gewissen Grade nicht ganz mit Un-
recht. Aber wenn man heute die Sparsamkeit gewissermassen als
Universalmittel auslobt und in ihr womöglich das Allheilmittel für die
verschiedenen wirthschaftlichen und socialen »Fragen« erblickt, so ist
man doch sehr auf dem Holzwege. Gewiss soll der Einzelne seine und
der Seinen Existenz sichern und entsprechende Beträge sparen — auf
welchem Wege das am besten geschieht, ist schon oben angedeutet —
aber die über dieses nothwendige Mass hinausgehende Sparsamkeit
kann in unserer Zeit im Allgemeinen nicht als wirthschaftlich be-
trachtet werden.
Neben der für die Sicherung der Existenz nothwendigen Spar-
samkeit darf die grosse Bedeutung nicht vergessen werden, die eine
Erhöhung der Lebenshaltung für die Gesammtwirthschaft hat, eine sehr
viel höhere Bedeutung als die über das nöthige Mass hinausgehende
und dann bald geradezu unwirthschaftliche Sparsamkeit. Sehr treffend
schreibt Fr. Naumann in seinen »Socialen Briefen«:
»Das Sparen wird in allen Tonarten besungen, es soll die Hilfe
sein für alle Nöthe. Ach, wenn doch die Leute nur sparen wollten!
Nun ist nicht zu leugnen, dass das Sparen seine sehr greifbaren Vor-
züge für den Einzelnen haben und dass in ihm ein beachtenswerthes
Stück sittlicher Energie liegen kann. Es ist auch richtig, dass in be-
ginnenden Culturepochen, in Colonien, überall, wo kein Mangel an
Arbeitsgelegenheit ist, das Sparen günstige Folgen für den allge-
meinen Fortschritt haben kann. Franklin hatte für seine Zeit und
seinen Ort durchaus Recht, wenn er in der Sparsamkeit den Stein der
Weisen erblickte. Nun sind aber die Verhältnisse durchaus anders ge-
worden. Wir haben zu viel Production und zu wenig Consumtions-
fähigkeit, bei uns ist nicht Mangel an Maschinen, Waaren, Capital-
gütern, sondern Mangel an Leuten, die etwas kaufen und verzehren.
Wer nun heute bei uns ruft: ‚Das Sparen ist die Hilfe für die Allge-
meinheit!‘ der sagt das Gegentheil dessen, was richtig ist. Er schränkt
den Verbrauch noch mehr ein, als er es schon ist. Woran soll die
Masse sparen? An Leinwand — was machen dann die Weber? An
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 275, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-07_n0275.html)