Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 358

Raimund-Theater Unsere Studenten Guth, »Draussen im Leben«

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 358

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358 NOTIZEN.

kann, ist ohne Frivolität und be-
darf der spiessbürgerlichen Schran-
ken nicht. Also durch das »Fege-
feuer« dürften wachsame Eltern
nicht bekehrt werden. Sie werden
nur im Raimund-Theater über
Dinge lachen, die ihnen dann zu
Hause nach wie vor sehr richtig
erscheinen müssen. Technisch ist
das Stück sehr geschickt gemacht,
und die Schablonenfiguren sind
darin wenigstens nicht ohne Ge-
schmack gruppirt. Dass solche Vor-
züge heute schon sehr viel be-
deuten, wird die Zugkraft be-
weisen, welche die Novität aus-
üben wird.

—i— .

Alfred Guth: »Draussen
im Leben
«. Berlin, Hugo Storm,
1898.

Ein Dilettant benützt die künst-
lerische Form Peter Altenberg’s,
um seine kindischen Stimmungen,
altmodischen Sentimentalitäten,
seine in Wirklichkeit unmoderne
Seele auf diese Art in die moderne
Literatur einzuschmuggeln. Aber
die Contrebande kann nicht ver-
heimlicht bleiben. Jeder, der Alten-
berg kennt und versteht, lacht über
die Gedankenleere und Geschmack-
losigkeit, die sich mit einer Form,
welche Gedankentiefe und feinster
Kunstsinn erschaffen, verhüllen
möchte. Für die Vielen, welche
das Buch nicht lesen, möge der
Anfang der horriblen Skizze »Ge-
sellschaft« als Beweis für diese
Behauptungen folgen. Also:

»Sie steht beim Clavier.

Der Spieler mit den weichen,
blassen Zügen und den braunen
Künstlerlocken spielt: ‚Johann
Strauss‘.

Seine Finger spielen: ‚Johann
Strauss‘. Sie steht beim Clavier,

die linke Hand auf das glatt-
polirte Holz gestützt, und denkt:
‚Du spielst Walzer und Polka und
Polka und Walzer; weisst du das?‘

‚Nein, du weisst es nicht.‘

‚Warum tanzen Sie nicht, Fräu-
lein?‘ sagt der Herr mit dem
schönen Bug in der Hose, der
tadellosen Binde und den feinen
Glacés.

Er wartet nicht auf die Antwort.

Es war nur so eine Frage. — —

Sie drehen sich auf den blanken.
Parqueten. Die Parqueten spiegeln
sie wieder wie ein See.

‚Wie ein See‘, denkt das Fräu-
lein am Clavier. Der Spieler spielt
noch immer ‚Johann Strauss‘. Sie
wollen es.

Seine Finger müssen. —«

Selbst wenn der Herr Guth
etwas zu sagen hätte, wäre es un-
erlaubt, es in einem Styl zu sagen,
in welchem jede Besonderheit die
Ueberschrift: Eigenthum des
Peter Altenberg
trägt.

Max Messer.

Unsere Studenten. Seit
einiger Zeit gibt es in der Wiener
Studentenschaft neben den tra-
ditionellen Raufbolden, Biersäufern
oder altklugen Musterknaben auch
einige junge Leute, welche mit
dem Culturleben der Gegenwart
in einiger Beziehung stehen. Sie
wissen bestimmte Namen, sie haben
ein paar bemerkenswerthe Bücher
gelesen, und jedenfalls sind diese
äusserlichen Zusammenhänge mit
modernen Culturbestrebungen auch
schon etwas werth. Man würde
nur wünschen, dass der Bildungs-
weg, welchen diese jungen Leute
einschlagen, nicht der unbedingte,
typische würde. Es ist gewiss sehr
nützlich, wenn z. B. alle Juristen,
die ungefähr in das dritte oder

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 358, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0358.html)