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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 357

Text

NOTIZEN.

Helene Hartmann . Die
tüchtigste unter den unmodernen
Schauspielerinnen ist dem Burg-
theater entrissen. Nicht nur ihr
Lebensalter, sondern auch das
Veralten des naiven Faches, welches
sie in ihrer Jugend glänzend ver-
trat, trieb sie zu Mütterrollen. Ver-
möge ihrer Art, natürlich zu spielen
— was man ehemals darunter ver-
stand — war sie prädestinirt, in
modernen Stücken das rückständige
Element trefflich zu verkörpern.
Ihre Mutter Vockerat war ihr
letztes Meisterstück. Die Gedanken-
welt der Jugend und des Alters
ist heute eine verschiedenere als
seit langen Zeiten. Gerade diesen
schroffen Gegensatz aufs Deut-
lichste vor Augen zu fuhren, war
Helene Hartmann die richtige
Frau. Es ist ihr nicht hoch genug
als Verdienst anzurechnen, dass
sie durch den rechtzeitigen Ueber-
tritt ins alte Fach der modernen
Dichtung zu Hilfe kam und ihre
grossen schauspielerischen Gaben
der richtigen Verwendung nicht
eigenwillig entzog. In dieser Weise
wird es noch geraume Zeit mög-
lich, ja nothwendig sein, dass
Schauspieler der alten und der
neuen Richtung in einem Stücke
nebeneinander wirken. Erst bis die
moderne Jugend grau geworden,
wird eine einheitliche Spielweise
sich von selbst ergeben. So wie
Helene Hartmann, im einzelnen
Fall, sich auf den richtigen Platz

gestellt hat, so ist die ganze Burg-
theatermisere im Allgemeinen zu
lösen. Jeder wirke an der Stelle,
welche ihm eine moderne Kunst-
richtung anweist. Nun ist auch
die Einzige dahin, welche von
der alten Garde diese künstlerische
Pflicht noch vollkräftig erfüllt hat.

—i— .

Raimund-Theater. »Im
Fegefeuer
.« Schwank in drei
Aufzügen von Ernst Gettke und
Alexander Engel.

Eine sehr lustige Posse. Die
Heiterkeit wird allerdings nur
durch eingestreute Witze er-
zeugt. In seinem vorjährigen
Erstlingsstück: »Das liebe Geld«
hat Alexander Engel den stellen-
weise gelungenen Versuch ge-
macht, einen Scherz literarisch zu
vertiefen. In seiner heurigen Com-
pagniearbeit fehlen derlei löbliche
Ansätze. Der durch übertrieben
vorsichtige Eltern beschränkte Ver-
kehr von Verlobten wird diesmal
zur Zielscheibe des Spottes ge-
nommen. Da aber die vorgeführten
Liebespaare vollständig individuali-
tätslos sind, also zeitlebens ganz
dieselben auf den ersten Blick
wahrzunehmenden Eigenschaften
besitzen werden, so wäre auch
ein freierer Umgang während der
Verlobungszeit ohne Nutzen und
die ihnen von den Verfassern an-
geheftete Kusswuth wohl eine Ge-
fahr. Nur die Liebe, die in innere
Seelenvorgänge umgesetzt werden

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 357, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0357.html)