Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 353

»Ohne alle Opportunitäten« (Egidy, M. von)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 353

Text

»OHNE ALLE OPPORTUNITÄTEN.«
Von M. von Egidy (Berlin).

Die Leser haben es in Nr. 6 gelesen. Die Schriftleitung sandte
mir die Notiz mit der sehr freundlichen Aufforderung, bei den Lesern
der »Rundschau« ein zweitesmal — schriftlich — zu Gaste zu sein,
vielleicht über meine Entwicklung bis zu den »Ernsten Gedanken«
und seither zu sprechen. Das könnte ich, anfangend mit meinem Ein-
tritt in das Cadettencorps, 10 Jahre alt, fortgesetzt bis auf heute, ohne
jede Zusammenhanglosigkeit; nirgends ein Bruch; Entwicklung in immer
der gleichen Richtung; mir auch klar über deren Weitergang.

Mit solcher Darstellung sind aber Anforderungen an den Leser
verbunden. Ein derartiger und ganz speciell mein Entwicklungsgang
stützt sich auf Behauptungen; der Beweis für dieselben liegt indess in
der Zukunft, in der Folgezeit, im Auslaufen der Entwicklung, im
»durch’s Ziel gehen«. Bis dahin muss der Leser »glauben«, muss glauben,
dass es anders wird; das ist eine Zumuthung. Muss dem bequemen
Dogma von der Unabänderlichkeit, muss der schönen Illusion entsagen,
dass das, was Menschen anordneten, »göttliche Ordnung« sei; das ist
eine noch grössere Zumuthung. Muss sich an den Gedanken gewöhnen,
dass das Alles wird: nicht nur »ohne alle Opportunisten«, sondern
gerade indem wir, dass es wird, weil wir dem Opportunismus ent-
sagen. Ein solcher Entwicklungsgang ist ausserdem schwer zu trennen
vom Lebensgang; eine wahrheitsgemässe Schilderung des Lebensganges
aber fordert ein Berühren von gar zu viel Persönlichem; ein Er-
wähnen von Pflichten und Leistungen, von Wirken und Anerkennung,
von Kämpfen und Siegen. Das in knappen Sätzen wiederzugeben, ist
zwischen Menschen, die in verschiedenen Atmosphären athmen, schwer;
weitläufige Schilderungen sind unangebracht.

Die Schriftleitung gibt mir indess mit ihren grossartigen Worten
»ohne alle Opportunitäten« den besten Fingerzeig, wie ich ihren
Wünschen gerecht werden kann. Grossartig deshalb, weil sie in der
That das Leitwort sind für den ganzen ferneren Entwicklungsgang der
Culturwelt, deshalb auch das Bestimmungswort sind für alle Handlungen,
die das Werdende vorbereiten, herbeiführen. Zu der freundlichen An-
wendung dieses grossen Wortes auf mich, die ich mit dankbarer Ge-
nugthuung empfinde, will ich nur andeuten: Anfangs, als Knabe und
Cadet, unbewusst, dann, als junger Officier, um der (inneren) Tapferkeit
willen daran festhaltend, habe ich als reifender Mann das Wesen dieses
»ohne alle Opportunitäten« immer tiefer, immer klarer ergründet und
habe jeden Angriff dagegen mit eherner Festigkeit zurückgewiesen. So

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 353, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0353.html)