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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 506

Text

506 SANDROCK.

häufigsten wird es vorkommen, dass durch Zusammenwirken eines
Regisseurs und einer Regisseurin das Heil eines Stückes gefördert
werden kann.

Man darf mir nicht einwenden, dass eine Einhelligkeit der
Ansichten hier nicht herzustellen sein würde. Viel enger ist die
Berufsbeziehung, wenn ein Schauspieler mit einer Schauspielerin
eine Scene zu spielen hat, über viel mehr Punkte haben sie sich
in diesem Falle zu einigen. Wäre also zwischen männlichen und
weiblichen Mitgliedern einer Bühne eine Uebereinstimmung über
ihre Kunst nicht herzustellen, so käme überhaupt nie eine Theater-
vorstellung heraus.

Ueberall wird jetzt über schlechte Regieführung geklagt und
Vorschläge zu ihrer Verbesserung sind täglich zu lesen. Es könnte
aber auch eine weitere Vervollkommnung in der bisherigen Regie-
führung stets nur eine einseitige bleiben, solange man die weib-
lichen Theatermitglieder davon ferne hält. Ganz abgesehen davon,
dass die Besorgung dieses Amtes den Berufsernst der Schau-
spielerinnen noch erhöhen wird, verspricht, wie gesagt, diese
Reform die Natürlichkeit des Spiels im Allgemeinen zu fördern.

Die Schauspielerin als Regisseurin wird Alles, was ihre
Geschlechtsgenossinnen angeht, mit deren Spielweise in Ueber-
einstimmung bringen können. Eine Künstlerin wird dann nicht erst,
wie jetzt, durch langes Parlamentiren mit dem Regisseur auf den
Proben, wobei die Hälfte ihrer Intentionen verloren geht, ihren
Ideen Geltung verschaffen müssen. Ueber das weibliche Milieu,
welches sie zur vollen Verkörperung ihrer Rolle nöthig erachtet,
erst einen Mann zu Rathe ziehen müssen, ist absurd, nur eine
Regisseurin wird sich da völlig hineinzuversetzen vermögen.

Jetzt ist eine Darstellerin nie zu Hause, immer in einem
Gemache und in einer Umgebung von Regisseurs Gnaden.

Dieser Zustand hat viel Aehnliches mit der Unnatürlichkeit
jener Theaterzeiten, da die weiblichen Rollen noch von Männern
dargestellt wurden. Ein letzter Ueberrest davon ist geblieben —
noch ist das Milieu, in welchem gespielt wird, immer ein aus-
schliesslich männliches.

Ich habe bei Gelegenheit meiner Gastspiele, während welcher
ich die Regie in der Regel selbst führte, gefühlt, wie sehr mir
hiedurch meine Aufgaben erleichtert wurden. So stieg in mir
allmählich der Gedanke auf, es könnte überhaupt beim Theater

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 506, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0506.html)