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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 627

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DER BOTANISCHE POET. 627

praktischen Geschäften auch die Kunst niemals zu vergessen. Dass
diese Rede nicht ohne Wirkung war, zeigt das beigeheftete, von meiner
Tochter herstammende, nach der Natur entworfene Bild.« — Hier in
Wien schaffte Kerner durch zwanzig Jahre in demselben Zimmer des
äusserlich so unansehnlichen Hauses am Rennweg, in dem Mozart der
begabten Francisca Jacquin Clavierunterricht ertheilt hatte.

Kerner, der durch die erste Sammlung der niederösterreichischen
Pflanzennamen (im Jahre 1855) die Erinnerung an die altgermanischen
Beziehungen der conservativen Volkssprache geweckt hat, ist am
Johannistage dieses Jahres zu Grabe getragen worden. Die zauber-
berühmten Johanniskräuter alle blühten im Sonnenstrahle, da die harten
Schollen den Mann verschütteten, der solches Empfinden für die Volks-
seele und die Pflanzenwelt hatte. »Blumen reicht die Natur, es windet
die Kunst sie zum Kranze.« Das gesammte Wirken des grossen und
bescheidenen Anton Kerner hat sich nach diesem letzten Wort in
seinem »Pflanzenleben« gerichtet.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 627, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0627.html)