Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 712
Text
Wir constatieren mit Befriedigung, dass der Gedanke der Errichtung
einer »Freien Bühne« in Wien auch ausserhalb der Grenzen Österreichs
warmen Anklang gefunden hat.
So schreibt u. A. das Berliner Tageblatt vom 21. Juli d. J.:
»Eine »Freie Bühne« in Wien. (Von unserem Correspondenten.) Wien,
19. Juli. In einer der Revuen des frisch-fröhlich agitierenden litera-
rischen »Jung-Wien«, der »Wiener Rundschau« wird angekündigt,
dass die Vorarbeiten für die Schaffung einer »Freien Bühne« in
Wien im Zuge sind und hoffentlich bald zu dem gewünschten
Resultate führen werden. F. Schik, einer der wirklich Begabten
aus der Gilde der Wiener Modernen, macht zu obiger Mit-
theilung nachstehende Bemerkungen, in denen Berlin viel Lob
gespendet wird. Er sagt:«(Hier folgt der wörtliche Abdruck
unserer Ausführungen. Schliesslich bemerkt das »Berliner Tageblatt«:)
»Kein Zweifel: eine »intime Bühne« wäre gar sehr nach dem Geschmacke
eines grossen Theiles unserer sich für Theater interessierenden Gesell-
schaft. Auch sind die Vortheile, die sie brächte, gar nicht zu verkennen.
Aber vorläufig dürfte die Sache noch ihre guten Wege haben. So
lange nicht hinreichende Mittel vorhanden sind, um die »Freie Bühne«
mit dem in Wien allein wirkenden lärmenden Bum-bum zu installieren,
so lange wird die an sich sehr glückliche Idee eben bloss Idee bleiben.
Alles, was bei uns gemacht wird, muss mit einem gewissen Geschick
gemacht werden und namentlich mit Geld. Wir haben es nur zu oft erlebt,
dass hier die besten Intentionen zu Boden fielen und Staub wurden,
weil die betreffenden Unternehmer es à tout prix wollten, dass die
guten Ideen »aus sich heraus wirken« sollen. Wo anders ist das immer
gegangen, in Wien nicht. In Wien gelten die Äusserlichkeiten schrecklich
viel, wenn nicht alles. Kann man bei uns einen schönen Plan nicht
mit entsprechenden Applemb in die Welt setzen, dann lasse man ihn
ruhig liegen. Für Kenner ist es kein Geheimnis, dass die erste Wiener
Ausstellung der Secessionisten ihren grossen Erfolg vor allem dem
Umstande zu danken hat, dass man sie mit jenem Spektakel »gemacht«
hat, der in Wien sein muss. Es ist hier einmal so: ohne Spektakel
kein Leben!«
Es ist nicht nöthig zu sagen, dass diese Befürchtungen doch
nur ein wohlwollendes Interesse für die Sache bezeugen. Thatsächlich
sind sie aber nicht begründet. Das ganze Unternehmen ist derart in
Angriff genommen worden, dass von kleinlichen Mitteln und halben
Massregeln nicht die Rede sein kann. Auch für das »nöthige Bum-
bum« werden Freunde der Idee zu sorgen wissen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 712, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-18_n0712.html)