Text
Secessionsgebäude ein Gleichnis für das Ringen und Frohlocken des
modernen Menschen, der Komödien und alten Mummenschanz nicht mehr
erträgt, und nackt, wie er ist und wenn es selbst um den Preis der
Schönheit wäre, vor uns hintritt.
Ich sage »selbst um den Preis der Schönheit«, womit nicht
Mangel an Schönheit, sondern das mit sich selbst Erbarmungslose
ausgedrückt sein soll, denn in Wirklichkeit ist eben dieses Sich-ent-
hüllen, dieses hohe Opfer, wo immer wir es finden, ein Schauspiel
ohne gleichen!
Auch das ist ein Tempel, in seinen Grundzügen ernst, streng;
bloss und lastend wie die Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, mit
geheimnisvollen Masken über der Pforte, die uns räthselhaft anblicken
wie das Leben selbst, dann aber überwachsen mit goldenen Bäumen,
gleich wonnigen Gedanken, die empor bis in die blauen Lüfte sprossen,
sich liebend zu einander neigen und jubelnd umschlingen vor Lust
und Freude.
Goldene Schlangen ringeln sich zwischen dem Gemäuer hervor
und deuten ewige Verjüngung, Tod und Leben an.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 940, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-24_n0940.html)