Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 941
Text
Von WILHELM SCHÖLERMANN (Wien).
»Fünfzig Jahre österreichischer Malerei«, ein bedeut-
samer Abschnitt; auch ein interessanter? Gewiss, ein interessanter in
mehr als einer Beziehung, nicht nur um zu zeigen, wie man nicht
malen soll. Der negativen Seite stehen sehr positive gegenüber, stehen
neben einer Reihe von Nullen auch einer wie Makart (der »trotz
allem« doch wohl noch immer »einer« ist), Schindler, Waldmüller,
Pettenkofen. Hat Österreich jetzt solche Künstler aufzuweisen? Und
weiter zurück Meister Moriz von Schwind und Josef Führich; ja,
Führich, denn Führich ist Künstler gewesen, das heisst einer, der
fühlte, was er malte.
Schwind, wie Waldesflüstern klingt sein Name auch heute noch,
vielleicht mehr als vor zehn Jahren. Wie kommt es nur, dass seine
Kunst nicht todt ist, gleich der des Zeitgenossen Kupelwieser oder
die tüchtig gemalten Anekdoten Danhausers? Konnte Danhauser nicht
malen? Sicher besser als Schwind. Aber er legte den Schwerpunkt
auf den »bedeutsamen« Inhalt. Die malerische Kunst dieser Zeit sollte
nicht durch sich selbst und ihre Ausdrucksmittel, Linien und Farben,
sprechen, sondern sie bedurfte eines unmalerischen Nebenzweckes, um
zu wirken. Statt das Leben auf die Bühne zu bringen und seine
ewigen Kleinheiten gross zu sehen, sah man in jeder Bierstube oder
Advocaturskanzlei das Leben durch das Opernglas an. Da liebten,
hassten, feilschten, assen, tranken und spuckten unsere Vorfahren nur
mit übermenschlichen Geberden: ein pudelnärrisch Puppentheater. Zu
ihrer Ehre dürfen wir annehmen, dass sie in Wirklichkeit solch
alberne Maskerade selbst in der sentimentalsten Zeit sich nicht haben zu
Schulden kommen lassen, wie die Maler uns glauben machen möchten.
Bei Schwind nichts dergleichen. Seine Gesundheit bewahrte ihn
davor. Wenn er einmal in die Anekdote verfällt, kann er gar nicht
ernst bleiben. Bei ihm fliesst Gemüth und Humor immer aus derselben
reinen Quelle, die ihn vor falschem Pathos glücklich bewahrte. Und
doch hat er dem »Zeitgeist« nicht immer entgehen können. Wenn er
»grosse Kunst« malen wollte, verliess ihn die angestammte Eigenkraft;
indem er sein germanisch Wesen »durch das reinigende Bad griechischer
Formenschönheit zu adeln« suchte, gab er sein Bestes auf. Ihn konnte
weder die strenge Linienphilosophie des Cornelius befruchten, noch
fühlte er aus sich heraus jenen urmächtigen Drang, der in grossen
Renaissance-Epochen die Überfülle an Gestalten auch in übergrossen
Formen ausgiessen will. Er täuschte sich selbst, als er das glaubte.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 941, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-24_n0941.html)