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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 5

Text

STRINDBERG: DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS.

Da hast Du nun die ganze Denkmechanik,
Zwar stark verkürzt, doch nach dem
Wunsch des Publicums.

(Die Betten der Kinder verschwinden.)


Zweite Scene.

Der Schmied. Der Arzt. Sanct Peter.


Der Arzt.
(Er bläst in ein Pfeifchen, die Decoration ver-
wandelt sich. Ein Vorhang fällt vor die Öffnung,
zwischen Kammer und Schmiede herabgelassen,
so dass die Verwandlung dahinter vor sich gehen
kann, der Ofen tritt in die Wand zurück u. s. w.)

Der Schmied.

Was ist das? Ist die Erde los
In ihren Angeln? Weh! Der Boden zittert.
Nach beiden Seiten weicht die Wand!
Ich glaub’, es birst die Decke!!
O, meine Kinder.

Der Arzt.

Du weisst, hier sind sie doch nicht mehr!
Und wenn Du je sie wiedersiehst,
So ist es sicher nicht mehr hier.
Doch trage die Erinnerung an sie mit
Als Compass in des Meeres Sturm,
Als trockne Blum’ im Taschenbuche,
Die das Gedächtnis weckt des Besten,
Des Lieblichsten, das uns das Leben beut,
Vielleicht des einzig Guten,
Das Wirklichkeit besitzt.

Der Schmied
(der die Bettchen der Kinder suchen gegangen
war, tritt wieder an des Doctors Seite).

Wer bist Du, Zauberer? Verkehrst Du mir
den Blick?

Der Arzt.

Ich bin ein Meister in der Hexerei,
Doch die Magie ist ganz natürlich.
Das hier ist bloss nur Scenerei,
Wenn auch Mechanik, wie gebürlich,
Man aus dem Grunde muss verstehen.
Sonst heisst’s Verwandlung, mag sie vor
sich gehen.

Verwandlung.

(Die Scene stellt einen Wald mit einem mit
Wasserblumen bewachsenen See vor.)

Narcissus
(lehnt an einem Baumstamm und betrachtet
sein Bild im Wasser).

Thersites
(ausserst hässlich, gross und feist, mit schmaler
Stirn, verglasten Augen und aufgedunsenen

Wangen, sitzt in einem Kahn und wirft Steine
ins Wasser, um das Bild des Narcissus zu
trüben).

St. Peter
(späht anfangs nach allen Seiten umher, zieht
dann seine Brille aus der Tasche, entdeckt eine
Angelruthe und setzt sich an das Ufer des
Sees, um zu angeln).

Dritte Scene.

Der Arzt. Der Schmied. Narcissus. St. Peter.

Der Schmied.

Den Reiseanfang lob ich mir! Im Wald
ein Abenteuer!
Just das ist mein Geschmack.
Man hat doch etwas zu erzählen,
Kommt man mit heiler Haut nach Haus.
Doch wer ist jener schöne Jüngling dort,
Der so versunken steht in Träumen?

Der Arzt.

Das ist Narcissus!

Der Schmied.

Narcissus! Ach! Der Narr der Eigenliebe,
Der nie sein Bild ermüdet zu bewundern?

Der Arzt.

So sagt die hässliche Canaille,
Die dort im Hintertheil des Bootes,
Koth in das klare Wasser wirft!
Sieh nur die kolossale Fleischbank,
Soll auch dabei gewesen sein im Krieg
um Troja.
Im Kreis der Helden der Bagage,
War er gleich gross im Prahlen und im
Saufen,
War obendrein der hässlichste von allen.
Er hält sich Wunder was für einen Sänger,
Und lässt sich gerne auf den Brettern sehn.
Von seiner Schönheit ist er überzeugt,
Und doch voll Neid Narcissus gegenüber.
Darum auch trübt er des Narcissus Bild
Mit Schmutz, herausgekratzt aus seinen
Nägeln!
Pass auf, wie bei der kleinsten Schmeichelei,
Er schnell bereit vor uns sich produciert —
Tersites, Bester, sing uns etwas vor!

Thersites
(erhebt sich und macht eine Verbeugung).

Mit allerhöchster Freude!
Ich bin nicht difficil wie andre! Hm!
Und was Natur an mich verschwendet,
Ich geb’s zurück mit vollen Händen.
Sänger!

(Sechs Frösche steigen aus dem Wasser auf
und declamieren unter Thersites’ Anführung.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 5, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-01_n0005.html)