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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 6

Text

STRINDBERG: DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS.

Die Frösche.

Koah koah koah koah koah koah — koah
koah koah koah koah koah koah koah
koah* — (Bis.)

Thersites (singt).

Ich bin ein kleiner Vogel,
Der singet Nacht und Tag,
Und lernt’ ich auch nicht singen,
So sing ich doch recht brav!

(Räuspert sich.)

Die Frösche (applaudieren).

Thersites (singt).

Ich bin ein kleines Blümlein
Und dufte rein im Tann’,
Und lernt’ ich auch nicht duften,
So duft ich, wie ich kann.

(Räuspert sich.)

Die Frösche (applaudieren).

Thersites (singt).

Ich bin ein kleiner Falter,
Zu schäkern flieg ich aus,
Und lernt’ ich auch nicht fliegen,
Ich flieg’, trotz einem — Strauss.

(Er tanzt.)

Die Frösche
(applaudieren und recitieren hierauf wie oben).

Der Arzt.

Du singest wie Narcissus selbst!
Und hätte Midas nicht schon ganz ver-
pfuscht das Genre,
So könntest Du Dich messen mit Apoll!

Thersites.

Ihr seid zu gütig, Doctor,
Und dass ich’s nur gesteh’, ich dachte
selbst daran,
Doch hielt die angebor’ne Schüchternheit
Mich stets davon zurück.

Der Arzt.

Hast Du Narcissus nie zum Wettkampf
aufgefordert?
Das wär’ doch immer ein Triumph, ob
auch nicht gross.

Thersites.

Der dünkelhafte Narr!

Vierte Scene.

(Eine Oreade der Felsen des Waldes tritt her-
vor. Um sie scharen sich Dryaden, welche
sich hinter Baumstämmen verborgen gehalten,
sowie aus dem Wasser tauchende Najaden.)

Die Vorigen.

Die Oreade.

Halt ein! Thersites! Hör’, bevor Du redest
Von Dingen, die Du nicht verstehn gekonnt.
Du liest die Sachen wie ein Kind,
Und findest alles einfach.
Doch der Gedanke, der dahinter steckt,
Bleibt Deinem trüben Blick verdeckt.
So klingt die wahre Sage von Narcissus:

(Recitiert oder singt.)

So erzählt die Sage von Pan,
Dem Gotte des rauschenden Wald’s,
Einer Nymphe stellt’ er einst nach,
Die Echo mit Namen genannt.
Nicht Gefallen fand Echo an Pan,
Sie liebt’ einen andern getreu,
Doch Narcissus, wie er genannt,
Statt Liebe die Weisheit erkor.
Gnothi Seauton!

Die Nymphen.

Das da heisst: Erkenne Dich selbst!

Die Oreade.

In Gedanken sieh ihn dort steh’n,
Er schaut in der Tiefe sein Bild,
Seines Wesens Grund zu erspäh’n,
Das hinter den Zügen sich birgt.
Doch im Wasser rudert ein Narr,
Im See nur den Spiegel er sieht,
Und er wähnt, der Denker begafft
Sich dort, wo ins Tiefste er blickt.
Gnothi Seauton!

Die Nymphen.

Das da heisst: Erkenne Dich selbst.

Thersites.

Gnothi Seauton! Ach! Den Narren,
Damit soll ich vielleicht gemeint sein!
Doch ich will zeigen Euch, dass auch
der Narr,
Wenn’s sein muss, in die Tiefe blickt,
Obgleich ich, grad’ heraus, dort nichts
gewahr’ als Schlamm.

(Er lehnt sich über den Bootrand.)

Die Oreade.

Das glaub’ ich gern, Thersites,
Darum, weil Du allein die Oberfläche siehst.

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Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 6, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-01_n0006.html)