Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 2, S. 32

Ein »Wiener« (Altenberg, Peter)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 2, S. 32

Text

ALTENBERG: »EIN WIENER«.

nicht Don Jose und der Torreador und
tausend andere in Frieden vor diesen
Händen ihre Andacht morgens und
abends verrichten können?! Wozu das
Morden?! Kann Carmen schlimm oder
leichten Sinnes sein, unedel, buhlerisch
und dirnenhaft, solange sie diese heiligen
Hände hat?! Kann Carmen uns durch
anderes enttäuschen als durch erfrörte
aufgerauhte Hände?! Und Bizet hat
eine Musik geschrieben zu diesen
Händen. Braucht man diese Hände zu
orchestrieren?! Und zu diesen Händen
hat man ein riesiges Opernhaus gebaut
und verwickelt die Trägerin dieser
Hände in ein dummes, verlogenes
Schicksal!? Carmen — Marie Renard,
Marie Renard — Carmen! Ist denn
das wirklich die ganze Tragik der Welt,
dass der Mann bis heute ein »frecher,
stupider Pavian« geblieben ist, mit
»Besitz-Wahnsinn« im Rückenmarke?!
Rückenmarksvieh, werde Gehirn-
mensch!!«

Einmal erlebte er einen Ibsen-Cyclus.
»Was ist denn das?!« sagte er ganz er-
staunt, »ja, gibt es denn überhaupt
etwas anderes auf der Welt als Noras,
Hedda Gablers, Meeresfrauen?! Wozu
schildert er dieselben so emphatisch?!
Auf allen Strassen gehen sie, in allen
Zimmern sitzen sie, auf allen Bällen
tanzen sie, unter allen Traualtären
knien sie, in allen Gräbern liegen sie!
Brauchen wir den Dichter, um uns
emphatisch zu sagen: Es gibt Gas-
candelaber, auf Nacht folgt Tag und
a-b-c des Lebens?!

Einmal sandte er an eine Zeitschrift
folgende kleine Sachen ein: Im »Ge-
schäft des Lebens« haben die einzig
wahren Empfindungen des Tages und der
Stunde Ewigkeits-Consequenzen!

Wie wenn man sagte: »Wenn Dir
dieser Wein wirklich mundet, so saufe
ihn, bis Du hin bist!« Ha ha ha ha,
das wäre auch die Moral des Wein-
bauers!

L’amour.

»Einzigste, Süsseste — —,« sagte
er zu ihr und zugleich dachte er: »Du
musst heute abends Sardellen gegessen
haben oder so etwas, meine Liebe — —«.

»Ich liebe Dich — — —,« sagte
sie zu ihm und zugleich dachte sie:
»Zwischen Schulter und Ellbogen hast
Du Bewegungen, eines alten Hausierers
würdig. Hast Du denn keine Charniere,
mein Lieber?!«

Die Zeitschrift schrieb zurück: »Sehr
tiefe Wahrheiten! Könnten Sie dieselben
nicht für unseren Leserkreis adap-
tieren?!«

Nein, adaptieren konnte er es nicht.

Einmal sagte man zu ihm: »Sie,
was halten Sie von Shakespeares ‚Romeo
und Julia‘?!«

»Die facheusen Complicationen der
Pubertäts-Liebe sind Privatangelegen-
heit,« erwiderte er.

Stundenlang stand er in den japa-
nischen Geschäftsläden. Er empfand
wirklich: »Hier sind Kunst und Natur
eines geworden. Die Hochzeit wird
hier gehalten, in diesen Räumen. Ja!
So fliegt der Sperling, so schwebt die
Hummel, so steht der Reiher, so hockt
die Wildente, so blüht der Apfelbaum,
so breitet sich die Chrysantheme, so
bebt der Tagesfalter. Basta. Wozu
Ereignisse?!«

Ganz unglücklich verliebt war er
in einzelne Gegenstände. Einmal kaufte
eine Dame ihm gleichsam sein Lieblings-
kästchen weg.

»Behandle es gütig,« rief er ihr
innerlich nach, »Du, hörst Du, nimm
ein Tüchelchen aus Flanell, wenn Du
es reinigst; zerkratze mir nicht den
Lack gefälligst!?«

Wenn jemand sich äusserte: »Die
Mode ‚Japonisme‘!« erbleichte er direct.
»Die Mode ‚Christenthum‘,« dachte er,
»Du Hund!«

Immer gieng er in die Gärten. »Was
habe ich dort zu suchen?!« dachte er.
»Wohlerzogene Blumen, die für nichts
ihre Schönheit geben!«

Einem jungen Mädchen schrieb er
in das Stammbuch:

»Was erhoffst Du Dir, Mädchen, noch?!
Da Du, geschlossene Blüte, alles Lebendige in
Dir birgst?!
Bleibe verschlossenes Blüh’n, o Mädchen — —
Denn die »gewöhnliche That« des Seins
Mordet Dein »göttliches Ungeschehnis«!«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 2, S. 32, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-02_n0032.html)