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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 248

Text

KUNST.

Künstlerhaus. — Leere, aller Leeren
Leere! Schwere, aller Schweren Schwere!
Ölige Öde ringsumher. Wanderer, lenkst Du
den Schritt hinaus in den Frühling, so sage
den Armen im Geiste, die jenseits von Gut
und Lothringerstrasse nach den Gnaden der
Künste hungern, dass hier, getreu den Ge-
setzen des Vaterlandes, wohl mehr als fünf-
malhundert Pinselbrüder und Pinselschwestern
in, sage, zwanzig Sälen wie Hasenbälge an
den Wänden hängen. Und wenn sie Dich
dann umringen, die Armen im Geiste, und an
den Zipfeln Deines Burnusses zerren, um mehr
zu erfahren, dann kauere Dich mit ihnen zu
Boden, verschränke Deine Beine, lass eine
Wasserpfeife kommen, streu Haschisch hinein,
auf dass Du an der Nüchternheit Deiner Worte
nicht erstickest, und flüstere erröthend in die
Runde:

So sieht ein Jahrmarkt in Cairo aus. So
— eine Tombola in Tanger. So — eine Kir-
mess in Timbuktu. Leere, aller Leeren Leere.
Schwere, aller Schweren Schwere. Ölige Öde
ringsumher. Allmählich kommen wir zu der
Erkenntnis, meine Lieben, dass unsere Zeit
den Journalismus des Pinsels geboren hat.
Journalisten, die ihr Zeilenhonorar aus Farben-
töpfen saugen und Entrefilets auf Leinwand
abziehen, hat es bis dato kaum gegeben.
Politische, militärpädagogische, oinopomologi-
sche und patriotische Leitartikel, Pariser, Lon-
doner und Provinzbriefe, Wetterberichte, The-
aternotizen, Hof- und Coulissentratsch, Ball-
referate, Feuilletons, Partezettel, Mittheilungen
aus dem Publicum, Communal-Ereignisse, kleine
Chroniken, Gerichtssaalrapporte, discrete Of-
ferten und sonstige Actualitäten werden mit
einer Routine gemalt, die in Erstaunen setzt
und wahrhaftig so thut, als ob sie promethe-
isch wäre. Routine! Des Tages tiefste Formel:
da habt Ihr sie! Journalismus, Unkünstlerthum
χατ᾽ ἐξοχήν, durch irgendeine krabbelige Prä-
disposition des Intellects und der Fingermus-
kulatur dazu verflucht, die Seichtheit der eige-
nen Gedanken und Absichten in Farbentafeln
— nicht eben in Druckpapier — von sich zu
geben. Der malende Journalist: da habt Ihr
ihn! Den Typus grüssen wir mit Trauer. Ver-
achtung und Gelächter können nichts wider
ihn, denn er ist zäh, ist da, bläht sich, lässt
sich nicht abtreiben. Ella hopp, o mores! Indes
man jetzt unter der güldenen Filigrankugel
nächst der Wienzeile mit Eifer daran ist, dem
Krämergewerbe das Sacrament der Kunst zu
spenden, müht sich das Gremium des grauen
Hauses nächst der Handelsakademie im
Schweisse seines Dutzendgesichtes ab, die
Kunst partout zum Krämergewerbe herabzu-
drücken.

O Leere, aller Leeren Leere. O Schwere,
aller Schweren Schwere. O ölige Öde rings-
umher. Man prüfe einmal, wie künstlerisch die
Mittel sind, mit denen das Gremium nächst
der Handelsakademie sein assortiertes Lager

den Schichten der Residenz in Erinnerung zu
bringen wusste. Schon die ceremoniöse Er-
öffnung der Ausstellung mit Frackassistenz
und Devotionsschwulst ist, so wirtschafts-
politisch sie sein mag, ein antiquiertes und
durchaus unkünstlerisches Agens. Die Schöpfer-
faust ist Patschhanderl worden. Die Sancta
Musarum Maiestas
gibts Pfoterl und knaxt in
Lackschuhen vor Amtsfräcken, um Unsere
Liebe Frau Kunst nach Thunlichkeit und
Massgabe der jeweilig vorhandenen Staats-
credite ziffernmässig »fördern« zu lassen.
»Ohne Gunst Kunst umsunst« brummen mit
Recht die Vorstadtkomiker und grinsen dazu
wie Ottern.

Nicht genug daran! Während man da
draussen in Europa seit drei Jahrzehnten jede
unkünstlerische, unmalerische Wirkungsmög-
lichkeit zu ersticken sucht, um dem Pöbel das
Schauen und Lauschen beizubringen, sieht
man hier eine mercantile Innung das Interesse
an Stoff und Inhalt schüren, die Linien der
reinen Wirkung besudeln, den Kunstgeschmack
verseuchen.

Nur wenige Beispiele: Das Bild der ent-
schlafenen Kaiserin, der unvergleichlichen, ge-
benedeiten Frau, die stets den lauten Markt
gemieden, wird mit dem Geschmack von
Sängerfestlern, Schützenbündlern oder Hoftape-
zierern zwischen bestrichene Festons, Peluche-
draperien, Orangerien und Teppiche gerückt,
als gälte es, die Spiegelfenster eines Magasin
des Modes
zu decorieren. Gleichzeitig heisst
es in den Blättern: »Wir meinen, dass das
Volk von Wien schon um dieses Bildes willen
in die Ausstellung strömen wird«. Zahllose
Salon- und namenlose Jour fix-Grössen, die sich
von diis minorum et minimarum gentium in
Öl conservieren liessen, müssen als Repräsen-
tationsfiguren herhalten und — schlecht ge-
malt, wie sie fast alle sind — durch Actualität
entschädigen. Auch der deutsche Kaiser ist
zu sehen, in ziegelrother Uniform, mit Gold-
verschnürung und Biberkalpak. »Interesse wird
es erregen, dass er ein goldenes Armband
trägt«, hiess es buchstäblich in einem Wiener
Blatte. Namentlich aber sei Hans Temples
»Jubiläumsausstellung« (Prater) genannt, die
uns das liebe Antlitz des Lueger präsentiert
und das sublimste Interesse herausfordert.
Sollte es da noch Eindruck machen, wenn
man nun auch die Riesenschinken des Künst-
lerhauses — die »Wallfahrt« des Viniegra
y Lasso Salvadore, den »Furor Teutonicus«
des Joanovits etc. — tiefer hängen wollte?
Leere, aller Leeren Leere. Schwere, aller
Schweren Schwere. Ölige Öde ringsumher.
Auf Strathmann aber, Jan Toorop und die
Schotten, die jetzt auch bei Pisko namentlich
und unter den Secessionisten ihr Wunderauge
aufschlagen, soll alsbald mit Andacht zurück-
gekommen werden. A. L.

Buchkritik und Rundschau mussten Raummangels
wegen unterbleiben. Anm. d. Red.


Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. — Verantwortlicher Redacteur:
Constantin Christomanos.
K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I., Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 248, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-10_n0248.html)