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Hofoper: »Der Bärenhäuter«. —
Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird eine
Zeit kommen, in welcher man Wagner
nur mehr als einen gewaltigen und ge-
waltsamen Zwischenfall der deutschen
dramatischen Musik ansehen wird, welcher
dieselbe nur durch eine ungeheure sug-
gestive Macht von einfacheren und selbst-
verständlicheren Entwicklungen abgelenkt
hat. Dafür spricht die Dankbarkeit des
Publicums für alle diejenigen, welche es
auf grobe oder feinere Weise von Wagner
wegführen. Aus diesem Grunde war man
Nessler dankbar. Deshalb — ich nenne
die Reihe der letzten grossen Bühnen-
erfolge — Massenet, Mascagni, Humper-
dinck. Und nun ist es der Sohn Richard
Wagners, welcher mit feinstem künst-
lerischen Takte die deutsche Oper weit
hinter Wagner zurückführt, zu ihren
natürlichsten, gesündesten, einfachsten
Quellen. Zu Lortzing, Nicolai und Weber.
Zu den Kindlichkeiten der deutschen
Märchendichtung und der deutschen Mär-
chenmusik. Sein Erfolg beruht auf der
wunderbaren Natürlichkeit, mit welcher eine
simple, mädchenhafte, heitere Natur ge-
rade jenes Gebiet zur musikalisch-künst-
lerischen Wirksamkeit ausgesucht hat,
welches mit ihrem Wesen vollständig
identisch ist. Der Fall Siegfried Wagner
ist einer der seltensten Glücksfälle in
der Geschichte der Musik. In einer Zeit der
verkrüppelten, sehnsüchtigen oder müden
Seelen mitten unter Unvollkommenheiten
und Unnatürlichkeiten jeder Art, ist dieses
Kind der glücklichsten Ehe ganz intact
und unberührt in sicherer Einfachheit
aufgewachsen. Die weiseste Erziehung
und eine einsichtige Unterweisung haben
ihn befähigt, eine vererbte, nicht allzu-
grosse musikalische Veranlagung derart
zu verfeinern, zu verstärken, innerlich und
zärtlich zu bilden, dass er jetzt im ruhigen
Besitze einer harmonischen, natürlichen,
einfachen Kraft imstande ist, ein durchaus
gesund gewachsenes Opernwerk volks-
thümlich-heiteren Charakters zu schreiben.
Seinen Höhepunkt findet das Werk in der
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Schlusscene des zweiten Actes, in welcher
die innigsten, leisesten und feinsten Seelen-
dinge in einer derart simplen Weise ge-
sagt werden, dass sie die tiefsten Wir-
kungen ausüben. So ist denn Siegfried
Wagner zu einem prächtigen musika-
lischen Jungen ausgewachsen. Nun wollen
wir uns freuen, ihn zum Manne reifen
zu sehen.
M. G.
Burgtheater: »Der Abenteurer
und die Sängerin«. Ein Act. —
»Die Hochzeit der Sobeïde«. In drei
Verwandlungen. — Das Wesen und der
Wert dieser zwei Hofmannsthal’schen
Stücke wird erst nach Erscheinen in
Buchform fixiert werden können. Im
»Deutschen Theater« in Berlin fand sich
ein Helfer in Kainz. Im Burgtheater fiel
alles zu Boden. Hier ist die Hausmuse
die Langweile. Sie schwebt über jeder
Aufführung, mag es sich um Shakespeare,
Goethe, Schiller oder um wen immer
handeln. Nichts gelingt dem jetzigen
Leiter. Er brüstet sich damit, bei der Ge-
burt des modernen deutschen Dramas Bei-
stand geleistet zu haben, wir kennen ihn
aber nur als Todtengräber jeder Dichtung.
Raimundtheater. — Es gehört
zu den schwierigsten, aber wichtigsten
Aufgaben für einen Bühnenleiter, aus dem
Hebbel’schen Drama »Maria Magda-
lena« die darin gelegenen modernen
Wirkungen herauszuholen. Es wäre un-
gebürlich, von Herrn Gettke zu verlangen,
was Herrn Schlenther obläge. In der
Wallgasse wurde das Stück nur einem
Gast zuliebe aufgeführt. Leider mangelt
dem Fräulein Triesch ein individuelles
Temperament und die nöthige Intelligenz,
um die noch ungehobenen Schätze aus
der Rolle der »Klara« ans Licht zu bringen.
Ihr Talent reicht nicht einmal hin, um
ihr ungünstiges Äusseres vergessen zu
machen. Die gesammten Darsteller spiel-
ten das Stück von Ibsen weg, obwohl
kein anderes dramatisches Werk der
Productionsweise dieses modernsten Dich-
ters so nahe kommt, als gerade »Maria
Magdalena« von Hebbel.
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