Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 272

Die Boys of Glasgow Theodor Bruckner Galerie Miethke: Thoma (Lindner, AntonLindner, AntonSchölermann, Wilh.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 272

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KUNST.

schwerblütigen Barden, aus den Epen des
Scott und den Gesängen Ossians wie Wunder
hervortauchen! Nur vermeiden es hier die
Maler, ihre rein coloristische Phantasie in den
Formenzwang einer bestimmten Gegend zu
klemmen. Der Farbenreichthum der Heimat
ist nur Erreger der Sinne, just herrlich genug,
sie ins Spielen zu bringen, doch viel zu herr-
lich, als dass er frei schöpferische Männer zu
sclavischem Verweilen nöthigen könnte; und so
vereinen fast alle unter ihnen vereinzelte Im-
pressionen, hier — da — dort aufgelesen, ganz
instinctiv zu landschaftlichen Gebilden. Der
Deutsche sieht einen Sonnenuntergang und
malt ihn auf der Stelle nieder, dieweil er ihn
gesehen. Ihm ist die Natur ein Musterblatt und
also stempelt er sich zum Schüler. Der Schotte
sieht einen Sonnenuntergang, füllt seine Seele
mit ihm, wird trunken vom Purpurwein der
Schönheit — und weiss nun selber nicht, zu
welchen ungesehenen Formen der wachge-
rüttelte Trieb ihn drängen mag. Ihm ist die
Natur kein Vorwurf. Ihm ist sie der göttliche
Trunk, der die Sinne dehnt und die Säfte
drängt, dass sie unbewusst zu Geschöpfen
werden.

Mag anderwärts über die Geschichte der
Jungschotten des näheren gesprochen werden.
Seit 1890, da sie zum erstenmale in Deutsch-
land einritten, geht jubelnd von ihnen die
Rede. Hier ist nicht der Ort, der seltsamen
Entwicklungslinie zu folgen, die sich seit 1729
in gälischer Kunst erkennen lässt. Hier soll
nur schlicht vermerkt werden, dass Wien zum
erstenmale in Fülle ihre Wunder sieht. So sei
verwiesen auf die »Spielenden Kinder« (Hornel
Edward, Secession, Nr. 121), nicht minder
nachdrücklichst auf den »Winter« (Paterson
James, Künstlerhaus, Nr. 254) und auf die
reiche Collection des John Terris (Salon Pisko,
Nr. 34 bis 43), dessen Art auch im Künstler-
hause (Nr. 47 u. 349) aus zwei seiner kleineren
Landschaften spricht. Damit ist aber auch die
künstlerische Bilanz der letzten Wochen ge-
zogen. Interesse kann vieles erwecken: so
Strathmann, Toorop, Stott of Oldham, Hodler,
so Strasser, Baertson, Gandara, Orlik; doch
Augenblicke auszukosten, die in die tiefste
Anmuth und Kraft der Farbe auf leichten
Füssen hinüberleiten, mag jetzt nur vor den
Bildern der Boys gelingen. Denn sie ver-
schmähen selbst die leiseste Spur unkünstle-
rischen Gehabens; sie vergöttern die Farbe
und kennen keine Gottheit neben ihr; sie ent-
zücken, wie etwa Musik entzückt, die nur

Musik sein will; also gelangen sie mit er-
lauchten Mitteln zu erlauchten Zielen. Und
darum sind sie kraft ihrer inneren Natur be-
rufen, dem Pöbel zu missfallen.

Welch holder Adel schwebt ob solcher
Sendung! Anton Lindner .

In der Galerie Miethke ist eine Auswahl
von Werken Hans Thomas ausgestellt. Unter
den grösseren Ölbildern sind zwei aus diesem
Jahre
, während die Mehrzahl aus früheren
Perioden seiner Entwicklung stammt. Sie haben
eine Tiefe der Anschauung und einen Ernst,
welche über gelegentliche Schwächen triumphie-
ren. Was aber Thomas Bedeutung als
Zeichner so hoch stellt, das sind seine
Originaldrucke, Steinzeichnungen und Al-
graphien. Die abgeklärte Ruhe und Grösse
dieser Blätter erzeugt im Beschauer jene
seelische Befreiung, die nur einer tiefen
Kunst gegeben ist. — Für den Wand-
schmuck von Schulzimmern und Studierstuben
kann man sich kaum etwas Passenderes
denken. Wenn an massgebender Stelle für
eine möglichst weite Verbreitung dieser Sorge
getragen würde, wäre das mit Freuden zu
begrüssen. W. Sch.

Ein Mann von redlichem Können, noch
tastend zwar, doch steter Förderung würdig,
hat jüngst in den Höhen des Equitable-Palais
sein Studio in einen Salon des Zurückgewiesenen
umgewandelt. Es ist der Maler Theodor
Bruckner aus Wien. Ein Schüler Benjamin
Constants, hat er sich jenseits der Grenzpfähle
den Sinn für mondäne Artistik recht capriciös
zurechtgerückt und jene billige »vérité vraie«
verschmähen gelernt, die unsere heimischen
Porträtisten noch immer zu verleiten weiss,
aus wienerischen Gesichteln die fadesten Mehl-
speisprofile zu formen! Aus seiner Dame in
Falterblau, das sich mit dem Goldblond des
Botticelli-Köpfchens zu anmuthigster Wirkung
eint, klingt sicherer Takt für symphonische
Werte und namentlich weist ein Pastell in
Viollett und Lichtgrün das glücklichste Be-
mühen, der coloristischen Tradition der Hand-
werker geschmackvoll aus dem Wege zu gehen.
So steht ein Suchender vor uns, dem jetzt
schon in einzelnen Decorationsstücken die
Lösung rein malerischer Probleme mit An-
muth gelingt.

Man hat es längst dahin gebracht, dass
wir das Schicksal, ein Réfusé des Künstler-
hauses zu sein, als neidenswerte Ehre em-
pfinden müssen. A. L.



Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. — Verantwortlicher Redacteur:
Constantin Christomanos.
K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I., Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 11, S. 272, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-11_n0272.html)