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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 273

Text

VELASQUEZ.*
Von RICHARD MUTHER (Breslau).

Wir feiern in diesem Jahre den drei-
hundertsten Geburtstag des Velasquez. Ich
signalisiere das Ereignis, weil trotz Justis
grossem Buch manche Frage der Erledi-
gung harrt.

Kein Porträtmaler der Welt hat,
scheint es, ödere Aufgaben gehabt.
Während bei Tizian und Rubens Fürsten
mit Gelehrten und Künstlern, schöne
Frauen mit Feldherren und Staatsmännern
wechseln, kehren bei Velasquez in ermü-
dender Gleichförmigkeit immer dieselben
Gestalten wieder. Die Mauern, die den
Alcazar vom profanum volgus scheiden,
umgrenzen auch seine Kunst. Und inner-
halb dieser Mauern spielte so wenig,
wie in den Bergschlössern Ludwigs II.
sich ab. Selten sind fremde Fürstlichkeiten
zu Gast. Keine Würdenträger verkehren
bei Hofe, denn Philipp liebt — wie
Ludwig II. — nur mit Subalternen zu
verkehren. Seine Jägermeister, stramme
Oberförster und Forstgehilfen — noch
mehr die Zwerge und Spassmacher, die
man mit Onkel und Vetter anredet —
sind ihm angenehmer als Leute, bei denen
die Etikette zu beachten ist.

Das sind also die Persönlichkeiten des
Velasquez. Man sieht in dutzendfachen
Varianten das bleiche, kalt-phlegmatische
Gesicht des Königs, sieht die Brüder
Philipps IV., Carlos und Ferdinand,
Männer mit schmächtigen blassen Ge-
sichtern, langem Kinn und vorstehen-
der Unterlippe, schlaffe, müde, ausdrucks-

lose Gestalten, die schon alt waren, als
sie geboren wurden; man sieht Balthasar,
den Kronprinzen, bei dessen Geburt
Seine Majestät »so freundlich und con-
tent war, dass er alle Thüren öffnen
und jedermann hineingelassen, derart,
dass auch die gemeinen Sesselträger und
Küchenbuben Ihre Majestät in Ihren in-
nersten Gemächern Glück gewünscht und
die Hand zu küssen begehrt und solches
allergnädigst erlangt«. Weiter folgt der
Minister des Königreiches, der Herzog
Olivares, ein paar Jägermeister und die
sinistre Reihe der Narren. So wenig die
Männer interessant, sind die Frauen schön.
Isabella sowohl, wie Marianne und die
beiden Prinzessinnen gleichen in ihrem
ungeheuerlichen Costüm mehr chinesi-
schen Pagoden als lebenden Wesen.
Weder Koketterie gibt es, noch Anmuth,
weder Schalkhaftigkeit noch freundliches
Lächeln. Wer den Blick zurückgleiten
lässt in die Vergangenheit, sich der
himmlisch schönen Weiber erinnert, die
aus den Bildern der Venetianer uns
anschauen, fühlt vor den Werken des
Velasquez sich in eine Welt unheimlicher
Phantome versetzt.

Wie kommt es, dass man trotzdem
das Porträtwerk des Velasquez mit heiligem
Schauer durchblättert? Dass, wenn man von
ihm kommt, Rubens als roher Kraftmeier,
Van Dyck als parvenuhafter Geck erscheint?

Viel trägt zu dem feudalen Eindrucke
wohl bei, dass bei Velasquez eine so fest

* Anm. d. Red.: Schon rüsten sich die hispanischen Lande, ihren Velasquez zu preisen.
Der 6. Juni dieses Jahres bringt die dritte Centenarfeier seines Geburtstages. Alle Kunst- und
Literaturvereine der Halbinsel melden ihre Mitwirkung an. Von Kunstfreunden gestiftet, soll
eine Velasquez-Statue vor dem Haupteingange des Prado-Museums festlich enthüllt werden. Man
vergleiche das Edict der spanischen Regierung, das vor kurzem durch die amtliche »Gaceta
de Madrid« promulgiert worden:

»Da die Regierung den Wunsch hegt, in würdiger Weise das Gedenkfest des
grossen Malers Velasquez
zu feiern und nach Kräften zum Glanze der bevorstehenden
Centenarfeier beizutragen, haben Seine Majestät der König (den Gott beschütze!) und
in seinem Namen die Königin-Regentin des Reiches geruht anzuordnen, dass im
National-Gemäldemuseum (Prado) ein besonderer Saal eingerichtet werde zur Ausstellung
aller Werke des genialen Künstlers, d. i. sämmlicher im Museum enthaltenen und Wieder-
gaben aller sonstwo vorhandenen, von ihm herrührenden Gemälde.«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 273, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0273.html)