Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 274

Text

MUTHER: VELASQUEZ.

umgrenzte Welt sich darbietet. Bei anderen
Porträtisten wechseln die Eindrücke. Bald
weilt man in der Gelehrtenstube, bald im
Ballsaale, da auf dem Schlachtfelde, dort
im Boudoir. Hier hat man das Gefühl,
in einem weiten einsamen Königsschlosse
zu stehen, dessen Parketboden der Plebejer
nur in grossen Filzsocken betritt, in einem
Königsschlosse, wo uralte Ahnenbilder
ernst von den Wänden herniederblicken
und greise Diener in goldgestickter Livrée
lautlos über weiche Teppiche schreiten.

Auch das Pathologische all dieser
Menschen gibt ihren Bildnissen einen
seltsamen Zauber. Sowohl die Bourbons,
wie die Stuarts, die auf den Bildnissen
Rigauds und Van Dycks erscheinen, sind
noch vollblütig, gesund und kräftig. Sie
haben, sobald der Leibarzt eine Ver-
dünnung der Säfte constatierte, stets eine
kräftige Amme geheiratet, die dem morschen
Stamm neues Lebensblut zuführte. Die
spanischen Habsburger, die sich durch
jahrhundertelange Inzucht marode ge-
macht, sind fein und nervös, bleich und
mager, von jener gebrechlichen Zartheit,
die sich bei uralten Geschlechtern in den
letzten Erben vorfindet, mit denen der
Stamm ausstirbt. Es liegt etwas Fasci-
nierendes in der Verbindung der zwei
Factoren, aus denen diese Charaktere sich
zusammensetzen: Krankheit und Ritterlich-
keit, Verfall und erzwungene Willensstärke.
Alle sind sie müde und haben doch keine
Zeit, müde zu sein. Alle möchten sie
sitzen, und der Herrscherberuf erlaubt kein
Sich-gehen-lassen. Nur Velasquez hatte
Kinder zu malen mit so seidenartigem
aschblonden Haar und so grossen blau-
glänzenden Augen, die, während sie uns
anblicken, schon sagen, dass das nächste
Jahr ihr Todesjahr sein wird. Gerade
weil seine Helden so fahle, entnervte,
blutlose Menschen sind, wirken seine
Bildnisse so überfeinert aristokratisch in-
mitten einer Zeit, die noch so kräftig war.

Weiter kann darauf hingewiesen werden,
dass die Bildnisse des Velasquez anderen
Zwecken als die Repräsentationsbilder des
siebzehnten Jahrhunderts dienten. Schon
Ludwig XIV. war in gewissem Sinne ein
demokratischer König, der, wenn nicht
zum Volke, doch zu den »Edelsten der
Nation« herabstieg. Er hielt es für nöthig,

durch Glanz zu imponieren, lebte nach
aussen, zeigte sich leutselig. Es war ihm
schon in seinem Gottesgnadenthum bange.
An den Grundpfeilern der spanischen
Monarchie rüttelten solche Mächte noch
nicht. Philipp IV. wäre, wenn er von
einer Unzufriedenheit seines Volkes gehört
hätte, ebenso erstaunt gewesen, wie jener
gute Kaiser, der, als er 1848 auf die
Meldung seines Adjutanten, es sei Zeit, zu
fliehen, denn das Volk stürme die Burg,
die überraschte Antwort gab: »Ja, dürfens
denn dees?« Für Seinesgleichen existiert
weder Volk noch Aristokratie. Er gehört
noch zu den Fürsten, denen der Minister
knieend Vortrag hält, Fürsten, die un-
sichtbar über dem Volke schweben. Wohl
war der spanische Hof der kostspieligste
Europas. Die Livréen der Diener allein
kosteten im Jahre 130.000 Ducaten. Aber
diese Ausgaben geschahen nicht zum
Zwecke der Repräsentation. Sie waren
selbstverständliche Dinge, die sich ein
König leistet. Er lebt in seinem Palast.
Die langen Gänge des Alcazar gestatten
ihm, unsichtbar zwischen den entferntesten
Punkten zu verkehren. Wenn er ausnahms-
weise den Fuss auf den plebejischen
Boden der Aussenwelt setzt, vermeidet er
die »Hurrah-Canaille«, sorgt dafür, dass
ihn niemand sieht, lässt höchstens irgend-
wo sein in grossen Buchstaben gemaltes
Monogramm »Io el rey« zurück, damit
die Leute wissen, dass Gott allgegen-
wärtig ist.

Auch die Bildnisse des Velasquez
waren also nicht bestimmt, von profanen
Augen gesehen zu werden, hatten keine
patriotische Mission zu erfüllen, nicht die
Edelsten der Nation zu mahnen, dass
über ihnen ein König schwebe. Sie waren
Familienbilder, die an den Wänden des
Alcazar, im Speisesaale entlegener Jagd-
schlösser hiengen oder als Geschenke
an die Verwandten in Wien geschickt
wurden.

Alles, was in anderen Ländern den
höfischen Porträtstil kennzeichnet, war da-
her in Spanien nicht angebracht. Dort
muss die Krone und das verschiedenste Bei-
werk auf den Tisch, um kundzuthun, dass
da ein König steht. Hier bedarf es dieser
Insignien nicht. Jeder, der das Bild sieht,
weiss: das ist mein Bruder Philipp, das

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 274, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0274.html)