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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 275

Text

MUTHER: VELASQUEZ.

mein Onkel Ferdinand, das meine Base
Marianne. Dort geben sich die Fürsten
leutselig, huldvoll oder sie setzen sich in
imposante Positur, bewegen demonstrie-
rend die Arme, nehmen, wenn sie zu
Pferd sind, die Attitüde des Feldherrn
an, der sein Heer besichtigt. Hier
haben sie das nicht nöthig, denn sie
sind ganz unter sich. Weder brauchen
sie durch Säule und Vorhang andeuten
zu lassen, dass sie in Schlössern wohnen,
noch brauchen sie ihre weisse Hand, ihre
kostbare Toilette zu zeigen, denn das sind
alles Dinge, die sich von selbst verstehen.
Und Bühneneffecte, die man anwendet,
um dem Volke zu imponieren, haben
unter Verwandten keinen Zweck. Sie
lassen sich malen in den Situationen, die
für sie selbst die grossen Momente des
Daseins bedeuten: wenn sie Audienz er-
theilen — Gott weiss, welche Überwin-
dung das kostet, wenn sie in der Manege
sind oder auf der Jagd. Ein Bild des
Velasquez ist für sie dasselbe, wie für
uns eine arme Photographie.

Man könnte nun sagen: Also ist die
Vornehmheit der Porträts des Velasquez
gar nicht das Verdienst des Malers, sie
kommt auf Rechnung des Milieus. Doch
wie wenig das zutreffen würde, zeigt ein
Vergleich mit den Bildnissen, die Rubens
während seines Aufenthaltes in Madrid
von den gleichen Persönlichkeiten malte.
Philipp III., Isabella und Ferdinand sind
dargestellt. Und man glaubt in der Mün-
chener Pinakothek Menschen einer an-
deren Race gegenüberzustehen. Philipp,
bei Velasquez blass und müde, der welke
Ast eines uralten saftlosen Stammes, ist bei
Rubens ein frischer behäbiger Herr. Isa-
bella, bei dem Spanier kalt und ernst,
erscheint als liebenswürdige glückstrahlende
Frau. Der Cardinal-Infant Ferdinand, dort
ein bleicher, langaufgeschossener, junger
Mann mit matten, fiebergerötheten Augen,
ist ein robuster, genussfroher Prälat. Und
hätte Van Dyck sie gemalt, so würden
sie nicht so polizeiwidrig gesund, aber
desto stutzerhafter sein. Philipp würde
mit seiner blaugeäderten, schwindsüchtigen
Hand kokettieren und die Pose eines
Adonis annehmen. Isabella würde zeigen,
dass ihre seidene Robe sehr wertvoll
ist und ihr Taschentuch aus echten Brüs-

seler Spitzen besteht. Don Ferdinand, der
Cardinal, würde empfindsam warmäugig,
wie um schöne Frauen zu bethören, aus
dem Bilde herausschauen. Es wäre etwas
elegisch Weiches und Geckenhaftes, eine
aufdringliche Vornehmheit in die Bilder
gekommen. Rubens sowohl wie Van Dyck
hätten in diese hocharistokratische Welt
ganz fremde Züge hineingetragen. Ve-
lasquez konnte sie so vornehm sehen,
weil er selbst zu ihr gehörte. Er lebte
nicht nur inmitten des ältesten Adels von
Europa, im Alcazar, mit allen Ehren-
titeln des Hofmannes überhäuft, sondern
war selbst einer altadeligen Familie ent-
sprossen. So gross war sein Stolz auf
einen alten Stammbaum, dass er seinen
Vaternamen Silva, obwohl er zu den vor-
nehmsten des Königreiches gehörte, ab-
legte und den seiner Mutter annahm, weil
das der Name eines noch älteren Adels-
geschlechtes war. So sehr fühlte er sich
als Cavalier, als Hausmarschall Seiner
Majestät, dass er gekränkt war, wenn er
als Künstler betrachtet wurde. Nichts,
was an das Fach erinnern könnte, ist
seinem Selbstbildnisse beigefügt. Keine
Palette hat er, nicht den Malerblick, den
man sonst bei Künstlerbildnissen findet.
Eisig stolz, steif und ernst, wie ein alt-
spanischer Grande schaut er herab. Und
aus diesem Bestreben des Velasquez, für
einen Hofmann, nicht für einen Maler
zu gelten, ist wohl überhaupt sein Stil
zu erklären.

Die Thätigkeit des Künstlers besteht
nach den gewöhnlichen Begriffen darin,
die Wirklichkeit zur Schönheit zu ver-
klären. Sie legen ihren Modellen nahe,
sich von der einnehmendsten gewin-
nendsten Seite zu zeigen, setzen oder
stellen sie so, dass sich angenehme Linien
ergeben, bestimmen das Costüm, suchen
durch malerische Attitüden die Bildnisse
zu beleben. Als Maler lieben sie auch die
Schönheit der Farbe. Rubens, als kräftiger
Sanguiniker, spricht auch in Bildnissen
nur fortissimo, lärmt mit blendenden rau-
schenden Farben. Rembrandt als Meister
des Helldunkels bewegt sich in schumme-
rigen geheimnisvollen Harmonien, hat,
als er die »Nachtwache‹ schuf, ein simples
Regentenstück mit Märchenzauber um-
woben. Oder sie fühlen sich als Virtuosen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 275, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0275.html)