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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 297

Text

ANSICHTSKARTEN.
Von PETER ALTENBERG (Wien).

Er sandte ihr von überall Ansichts-
karten:

Schloss in P.

Hier müssten »innere Aristokraten«
wohnen! Solche, zu welchen jeder Fremde
innerlich spräche: »Herr Graf«, »Frau
Gräfin«!

Donau bei Y.

Stundenlang sah er dem breiten, flim-
mernden Strome zu, an Weidenzweigen
vorübersäuseln! Und er gedachte ihrer.
Denn immer gedachte er ihrer; auch wenn
er nicht stundenlang dem breiten, flim-
mernden Strome zusah, an Weidenzweigen
vorübersäuseln!

Soos bei Baden.

»Gedeiht die Weinrebe?!«

Das sind die Seelen-Emotionen der
Menschen in Soos.

Glaubst Du, Dichter, sie durchlebten
geringere Enttäuschungen, geringere Selig-
keiten als Du?!?

»Gedeiht die Weinrebe?!?« träumen
die Menschen in Soos bei Baden.

Weg auf den Leopoldsberg.

Wehe, wenn je Sie Einer, o meine
Lilith, in die Natur geleitete, welcher
nicht gleich wäre der Natur!

Laubwald und Burg am Strome.

Laubwald und Burg am Strome!

»Dichter, was spürest Du?!«

»Ich spüre: Laubwald und Burg am
Strome — — —.«

»O — — — das spüren auch wir.«

»Auch Ihr?!?«

»Auch wir. Spüre Du, Dichter, das
Tiefere!«

»Ich spüre das Tiefere. Dasselbe als
Ihr. Nur tiefer!«

Perchtoldsdorf, Platz.

Hier ist ein kleines Café. Morgens
leer. Vormittags leer. Mittags leer. Nach-

mittags kommen einige Gäste. Das »Inter-
essante Blatt« ist ganz zerfetzt. Man liest
gerne von Mord und Kälbern mit zwei
Köpfen und löst Charaden und Rössel-
sprünge in dem kleinen Café am Platze.

Gasthausgarten in K.

Vormittags. Noch ist die rohe Hunger-
und Dursthorde nicht eingebrochen!

In friedevoller Schattenschönheit liegt
der Gasthausgarten!

Inneres einer Kirche.

Hier ist der Raum, in welchem be-
siegte Menschenseelen ihre Sedan-Capitu-
lationen unterzeichnen!

Japanischer Apfelbaum.

In Japan blühen die Apfelbäume so
schön wie in keinem anderen Lande.
Aber niemals bringen sie es zu Früchten!
Die Blüten, welche ihre Kraft für die
Früchte aufbewahren sollen, können nicht
so schön werden als die Blüten, welche
ihre ganze Kraft für sich selbst, für ihr
Blühen verwenden dürfen!!

Worpsweder Künstlerkarte.

Die Worpsweder Maler werden der
Natur so sehr gerecht, weil sie dieselbe
so sehr lieben!

Eben dieses erträumt sich von diesem
Künstler »Mann« diese Natur »Weib«!

Gruss aus Rindbach.

Abends »fischelt« der See und duftet
von geschlagenem Holze am Ufer. Starr
steht das Hechtlein im Wasser. Und die
Riesenforelle am Brückenpfeiler wedelt mit
der Schwanzflosse infolge der Strömung.
Junge Wienerinnen im Rindbach-Costüme
steigen in Boote. Junge Herren im Rind-
bach-Costüme, berühret sanft im Schatten
des Wassers und des Felsens die Hände
der Damen!

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 297, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-13_n0297.html)