Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 298

Ansichtskarten Sermon wider die Literaten in Dingen der dramatischen Dichtkunstkunst (Altenberg, PeterFuchs, Georg)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 298

Text

FUCHS: SERMON WIDER DIE LITERATEN IN DINGEN DER DRAM. DICHTKUNST.
Gruss aus W. an der Donau.

Friedevoller Ort!

So seien unsere Seelen, morgens,
abends — —.

Wenigstens morgens, abends!

Allee im Schlossgarten.

Hier möchte ich mit Ihnen auf- und
abwandeln, Lilith, und Ihre blonden
langen offenen Haare küssen, ohne dass
Sie es merkten! Denn lose fliessen sie
über Ihre Schultern herab. Im Auf- und
Abwandeln könnte ich dieselben küssen,
ohne dass Sie es merkten, Lilith. Mit
meinen Augen!

Salzburg im Schnee.

Sommergast, in trägem Reichthume
geniessest Du die Natur, ein Schlemmer,
Prasser!

Im Winter aber muss Deine Seele
tüchtig mithelfen, die Landschaft zu ge-
niessen.

Im Sommer dichtet die Natur für
Dich
!

Im Winter musst Du für sie dichten!

Blick von der Rax.

Grellweisse Steine. Gelbgrüne Wiese
mit nassen Stellen. Schwarze Krumm-
Kiefer. Hellgraue, vom Winde ausgelaugte
Bäume. Hier werden keine kleinen Kinder
malträtiert. Hier wünscht niemand, Sec-
tionsrath zu werden. Hier fällt Regen,
saust Wind. Hier fällt Schnee, braust
Sturm!

Sie sandte von überall Ansichtskarten.
Auf jeder aber stand ganz einfach: »Ich
gedenke Ihrer!«


SERMON WIDER DIE LITERATEN
IN DINGEN DER DRAMATISCHEN DICHTKUNST.
Von GEORG FUCHS (Darmstadt).

Ihr erwartet nicht, dass ich mich ab-
gebe mit den Erzeugnissen der neuzeit-
lichen Theater- und Schriftsteller-
Geschäfte
. Ihr selbst achtet diese, auch
wenn sie noch so »berühmt« sind, nicht
höher als unternehmende Gastwirte,
Spielhallenbesitzer und sonstige Gewerbe-
treibende, die sich Brot und Reichthum,
redlich oder betrügerisch, dadurch ver-
dienen, dass sie dem Haufen geringer,
aber wohlhabender Leute des Abends
eine Kurzweil bereiten. Da mag denn
auch mehr wie einer darunter sein, den
die Zeitungen heute als »wahren Dichter«
und in jedem Betracht »grossen Mann«
feiern. — Wäre dagegen die sogenannte
»moderne Literatur« zu beachten? —
Ihre Vertreter verkünden zwar, dass sie
die Kunst überflüssig mache, oder gar,
dass sie die Kunst sei, nämlich eine
»naturalistische« Kunst. Die meisten Er-
zeugnisse dieser »fortgeschrittensten Rich-
tung« verdanken das flüchtige Aufsehen,

das sie erregen, nur dem Umstande, dass
sie Dinge in breiter und manchmal auf-
reizender Weise zur Sprache bringen, die
der »gute Ton« des Bürgers sonst zu
verschweigen gebietet. Dass über diese
ebenso entarteten als anspruchsvollen
Literaten und moralistischen Exhibitionisten
ein Wort verloren werde, dürfte sich gleich-
falls ein jeglicher verbitten, der über die
gröbste Barbarei hinausgekommen ist.

Um hier ein Missverständnis zu ver-
meiden, sei die überflüssige Anmerkung
nicht unterdrückt, dass keine Lebens-
erscheinung ausgeschlossen ist als Träger
einer Kunstform. Sophokles hat im
»König Oedipus« die Blutschande, im
»Philoktet« ekelhafte Krankheit dargestellt,
Holbein in der »Heiligen Elisabeth« die
mit Geschwüren bedeckten, aussätzigen
Krüppel unmittelbar neben die fürstlichste,
reinste Schönheit gesetzt. Die Kunst der
grossen Zeiten aller Völker ist unerschöpf-
lich in der »Darstellung« der Wohllust

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 298, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-13_n0298.html)