Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 296

Miethke: Robert Russ Cafe »Museum« (Schölermann, Wilh.Schölermann, Wilh.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 296

Text

RUNDSCHAU.
KUNST.

Ein merkwürdiges Ereignis ist seit
einigen Tagen Gesprächstoff in »engeren
Kreisen«: Wien hat ein neues Café be-
kommen! Sie meinen das »Café Secession«?
Nein, wir meinen das »Café Museum«.
Vielleicht könnte man’s »Café Antisecession«
nennen, denn was modern daran ist, hat
mit dem, was man hier unter »Secession«
versteht, nichts zu thun. Für die Secession
ist die Tradition nichts, für den Architekten
Adolf Loos alles; Die Secession arbeitet
mit dem Ornament, Loos ist der Omamenten-
Tödter. Die Secession will dem Kunst-
gewerbe die Individualität des schaffenden
Künstlers aufprägen, Loos geht von der
»Individualität« des jeweiligen Materials
aus. Die Secession arbeitet decorativ und
strebt dahin, die Construction der Decora-
tion anzupassen; Loos arbeitet alles aus
der Construction heraus. Die Gegenüber-
stellung liesse sich noch eine ganze Weile
fortsetzen, bis in alle Ecken und Winkel
hinein; aber sie würde hier zu weit führen.

Was haben wir mit diesem Café ge-
wonnen, was lehrt es uns? Viel. Denn es
zeigt, dass Einfachheit und Vornehmheit
aus einem Quell entspringen: aus der
Klarheit. Es verzichtet auf alles, was über-
haupt irgend entbehrlich ist; es zeigt nicht
nur, wie das Nützliche im Schönen, sondern
wie das Schöne im Nützlichen enthalten
ist; Zwei Gesichtspunkte sind massgebend:
jedes Material kann nur seine Sprache
reden, und daraus folgt, dass Messing
nicht wie Gold, Fichte nicht wie Mahagoni

und Wachstuch nicht wie Marmorplatten
»wirken« darf. Man führe das bis zur
strengsten Consequenz durch, und man
wird stets etwas Echtes und Schönes er-
zielen können. Denn das Schöne ist die
Wahrheit, die jeden Tag anders sein
kann und wird, das Hässliche aber ist
die Lüge, die sich immer gleich bleibt.
Warum sollte man nicht ein Café auf
derselben Basis und nach demselben Princip
aufbauen, einrichten und doch zu ganz
anderen Ergebnissen kommen als Loos?
Das eben ist das Gute an diesem Princip:
es engt nicht ein, sondern erweitert den
Gesichtkreis und die endlose Möglichkeit
verschiedener Lösungen. W. Sch.

Der Landschafter Robert Russ gibt
uns in der Galerie Miethke Gelegenheit,
verschiedene Stadien einer aufsteigenden
Entwicklung zu verfolgen, die von der »be-
fangenen Unselbständigkeit« des Zimmer-
mannschülers zu einer vollen Beherr-
schung der Mittel, klaren Anschauung und
inneren Freiheit durchgedrungen ist. Vor
den Arbeiten der letzten fünf Jahre, be-
sonders in Deckfarben sehr pikant und
leuchtend, wird selbst der Anspruchsvolle
zum reinen Kunstgenuss kommen können,
wenn er von vornherein den richtigen
Masstab ansetzt. Nicht um die Offen-
barung eines uneindämmbaren Neuschaffens
ureigenster Persönlichkeit handelt es sich
hier, sondern um ein Zurückgeben von fein
beobachteten Naturausschnitten mit Hilfe
geschickter und geschmackvoller Anord-
nung. W. Sch.



Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. — Verantwortlicher Redacteur:
Constantin Christomanos.
K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I., Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 296, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0296.html)