Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 295

Schirmacher: »Le féminisme aux États-Unis, en France, dans la Grand-Bretagne, en Suède et en Russie« Felix Holländer: »Das letzte Glück« Franz Xaver Kraus: Geschichte der christlichen Kunst (Schlesinger-Eckstein, Therese,KaetheSchaukal, Dr. RichardGraevell, Harald van Jostenoode)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 295

Text

RUNDSCHAU.

Stellung der Frau in den obgenannten
Ländern enthält das Büchlein viel Wissens-
wertes; über die Verhältnisse der Lohn-
arbeiterinnen aber und ihre Organisierungs-
versuche gibt es nur recht dürftigen Auf-
schluss. Wir erfahren, dass in all den
citierten Staaten die Universitäten der
Frau geöffnet sind, dass sie mit geringen
Einschränkungen zur Ausübung aller libe-
ralen Berufe zugelassen wird und dass
sie in diesen Ländern bereits ein Stück
Wahlrecht, in den nordamerikanischen
Staaten Wioming, Utha und Idaho,
wie auch auf der englischen Insel Man,
sogar die volle politische Gleichbe-
rechtigung
mit den Männern besitzt.
Ein Gesetz, das ihr, wie in Deutschland
und Österreich, die Gründung politischer
Vereine und die Theilnahme an solchen
verbieten würde, kennt man in all diesen
Ländern nicht. Es steht also in den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika, in
Frankreich, Grossbritannien, Schweden
und Russland um die Rechte der Frauen
bedeutend besser, als in Deutschland und
bei uns. Kaethe Schirmacher enthält sich,
vielleicht allzu bescheiden, aller Conclu-
sionen über die Ursachen der einzelnen
Erscheinungen, aller Muthmassungen über
die weitere Entwicklung, die das Beob-
achtete erwarten lässt. Mit Bedauern
müssen wir auch constatieren, dass hier
eine das Frauenleben tief berührende
Frage keine Beantwortung gefunden hat:
die Prostitution in den verschiedenen
Ländern und die englische Abolutions-
bewegung, die auch schon anderwärts
um sich zu greifen beginnt, werden kaum
gestreift. Auch über die Zahl der Ehe-
schliessungen, der ehelichen und un-
ehelichen Geburten erfahren wir nichts.
Da aber der Kampf um höhere Studien,
um die Zulassung zu den freien Berufen
und um das Wahlrecht noch lange nicht
die Frauenbewegung ausmacht, so müssen
wir annehmen, dass sich die Autorin aus
irgend einem Grunde auf den engen Raum
von 80 kleinen Seiten beschränken musste.
Denn dem Fräulein Doctor Schirmacher
eine einseitige und engherzige Auffassung
der Frauenfrage zuzumuthen, verhindert
uns der Ernst und das umfassende Wissen,
die aus dem kleinen Werke sprechen.

Therese Schlesinger-Eckstein .

Franz Xaver Kraus: Geschichte
der christlichen Kunst
. Herder in Frei-
burg. (Band I. Die hellenisch-römische
Kunst der alten Christen. Die byzantinische
Kunst. Anfänge der Kunst bei den Völkern
des Nordens. Band II. Die Kunst des Mittel-
alters.) — Der Name des gelehrten Professors
bürgt für die Vortrefflichkeit des herrlich
ausgestatteten Werkes. Hier wird zum
erstenmale der deutschen Leserwelt eine
Gesammtvorstellung der christlichen Kunst-
geschichte geboten, und zwar ist »christ-
lich« hier im eingeschränkten Sinne von
»kirchlich« gemeint. Der Verfasser hätte
daher besser gethan, das Werk eine Ge-
schichte der kirchlichen Kunst zu nennen,
weil man durch den Titel leicht irregeführt
wird, anzunehmen, dass eine Geschichte
der Kunst nach dem Auftreten Christi ge-
geben werden sollte. Dem Verfasser kam
es vor allem darauf an, das Verhältnis
der christlichen Religion zur Kunst zu
erforschen und die Existenzberechtigung
einer christlichen Kunst, ja deren volle
Ebenbürtigkeit mit der antiken, historisch
zu entwickeln, das Auf- und Niedersteigen
des künstlerischen Schaffensgeistes in
seinem Zusammenhange mit dem Auf-
und Niedersteigen des religiösen Volks-
geistes aufzuweisen. Er will die Gebildeten,
besonders natürlich die Geistlichen, durch
sein Werk in volle Fühlung mit der
religiösen Kunst bringen. Möchte es dazu
beitragen, das Kunstgefühl aufs neue zu
wecken in der Kirche, die eine Verjüngung
ja so nöthig hat auch auf diesem Gebiete,
und bei den Anhängern der Religion, von
der einst Schiller gesagt hat, dass sie die
einzig ästhetische sei.

Harald Graevell van Jostenoode .

Felix Holländer: Das letzte Glück.
Roman. Berlin. S. Fischer, 1899.

Eine sogenannte Beichte. Das Buch
ist mit einer anmuthenden Technik ge-
macht, geht aber nicht näher. Strindberg
ist der unheimliche Pathe dieser un-
erquicklichen Seelenzerfleischung. Die Pose
dabei rührt von Peter Nansen her. Ein
begabter Autor wie Holländer, der sonst
nichts zu thun hat, schreibt derlei Romane
überaus leicht. Ebenso leicht legt man
den Band weg und vergisst ihn. Die
Tovotes sind keine Maupassants und werden
sie niemals werden. R. Sch.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 295, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0295.html)