Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 293

Das Märchen vom Vatersterne Heckel: Briefe Richard Wagners Burgtheater: »Peter Kron« Deutsches Volkstheater: »Königin« (Levetzow, Freiherr Carl vonGraf, Dr. Max)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 293

Text

RUNDSCHAU.

zwang. Tausend andere erstarrende Sterne
wollten den grossen Todesreigen mit-
tanzen; tausend Sterne flogen seiner
Sterbensmächtigkeit zu. So stürzten alle
zusammen; und aus der Sturzgewalt ward
ein riesiges Glühen, ein rasender Glut-
wirbel immer jauchzender und freudiger,
immer heisser und flammender, und alle
Sonnen und Sonnen-Sonnen stürzten herzu
und es war wieder nur ein grosses Glühen,
ein grosser Feuernebel, der grosse Ur-
gedanke, der glühende Ätherball, der wieder
leuchtete und strahlte und Boten aus-

sandte, tanzende Ringe, zeugende Jüng-
lingsgeburten und jubelte:

»Ich! Ich! Ich!
Ich bin die Mitte
Des Feuers — und der Nacht!«

So ward aus dem Todestanze des Vater-
sternes ein Lebenstanz, ein glühender Ge-
burtsreigen; aus freiem Tode ein heiliger
Zeugungsreigen, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Das ist das Märchen vom Vatersterne;
und so sollten alle erkalteten Sterne zum
freien Todestanze schreiten und ihrer
heiligsten Wiedergeburt.


RUNDSCHAU.
THEATER.

Burgtheater. — Deutsches Volks-
theater
. — Mit Durchfällen eröffnet man
in Wien die Spielzeit, füllt sie damit aus
und beendet sie ebenso. Das Burgtheater
machte mit »Peter Kron«, Komödie
in vier Acten von Ernst Rosmer, das
Deutsche Volkstheater mit der »Köni-
gin
«, Märchenspiel in drei Acten von
Theodor Wolff, Premièren-Schluss. Beide
Stücke sind — milde gesagt — ohne
literarische oder andere Bedeutung und
unsere hiesigen Schauspieler nicht in der
Lage, wenigstens durch eine interessante
Darstellung das Missvergnügen des Zu-
schauers einigermassen zu mildern. Wenn
die Theaterdirectoren nach keiner Richtung
hin Respect vor dem Publicum zeigen,
so dürfen sie sich nicht wundern,
wenn der Unmuth der Theaterbesucher
sich bei den Vorstellungen jetzt immer
lauter Luft macht. Schliesslich wird ja doch
immer nur der Theaterdirector wegen seiner
Indolenz ausgezischt. Es gibt schon viele
Leute, die principiell kein Wiener Thea-
ter, mit Ausnahme der Oper, mehr be-
suchen, und es ist nicht abzusehen, was
in der Folge eine Epidemie allgemeiner
Theaterscheu aufhalten sollte.

BÜCHER.

Briefe Richard Wagners an Emil
Heckel. Herausgegeben von Karl Heckel.
Berlin. S. Fischers Verlag. — Als
Richard Wagner unter dem Titel Ȇber
die Aufführung des Bühnenfestspieles:
Der Ring des Nibelungen« eine öffentliche
Aufforderung erliess, in welcher er die
Freunde seiner Kunst ersuchte, sich durch
Anmeldung ihrer Gesinnungen bei ihm
namhaft zu machen, meldete sich Emil
Heckel als der einzige bei dem Meister.
Mit höchster Deutlichkeit treten aus den
jetzt veröffentlichten Briefen die Gestalt
dieser treuesten, einfachsten und kräftigsten
Seele, und jene des ruhelos kämpfenden,
von den Stürmen der inneren und äusseren
Welt umhergeworfenen Künstlers heraus.
Entzückend ist der Mangel jeder lite-
rarischen Affectation in diesem grossartig
primitiven Verhältnisse. Als Heckel Wagner
die Absicht kundgibt, sich dessen Werke
durch das Studium Schopenhauers zu
erschliessen, meinte Wagner lachend:
»Warum nicht gar, Heckel, bewahren
Sie sich ihren gesunden Menschenver-
stand« Ergreifend ist das Verhältnis
Wagners zu dieser prachtvollen Kurwenal-
gestalt, zu welcher der Künstler aus allen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 293, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0293.html)