Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 292

Das Märchen vom Vatersterne (Levetzow, Freiherr Carl von)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 292

Text

LEVETZOW: DAS MÄRCHEN VOM VATERSTERNE.

Kreisen um sich, und flog hinaus in die
Nacht, und jubelte:

»Ich! Ich!
Ich bin ein Mittelpunkt
Von Feuer und Nacht!«

Und er zeugte wieder Ringe, Söhne,
Feuergedanken, die hinausflogen und
tanzten, den jubelnden Ich-Tanz; neue
Flugsterne. —

Auch der Vaterstern zeugte weiter, und
schleuderte Ring auf Ring aus, wie in
einem Teiche um einen Steinwurf Kreis
auf Kreis entsteht. Ring um Ring flammte
und löste sich, wellte und weitete sich,
riss und tanzte und flog hinaus, ein Mittel-
punkt von Feuer und Nacht, und trug
die Lichtbotschaft des feurigen Vater-
sternes weiter, weiter ins ewige Dunkel.
Tausende von Jahren vergiengen,
Jahres-Millionen von Feuerzeugungen, ein
einziger Reigen jubelnder Glutgedanken.
Der Vaterstern war immer kleiner ge-
worden in den Millionen Zeugungen, aber
das sah er nicht. Weit hinaus in die grosse
Nacht hatte er seine Boten zertheilt, und
jeder der Kämpfer wider das Dunkel war
ein Theil von ihm. — Da zeugte er
keine neuen Sterne mehr. Er dachte:

»Ich leuchte
In allen meinen Welten;
In allen Tanzreigen
Kreist mein Kampfspiel.«

So liess er seine Söhne weiterkämpfen,
er aber besann sich wieder auf sich selbst.
Viel ruhiger ward sein Drehen, viel dichter
und gedrängter ward seine Masse; nicht
mehr ein suchendes, ringausstossendes
Feuergas; nun war sie eine fliessende
Glutkugel. Und er dachte:

»Ich bin die Mittagsruhe:
Tausend Sonnen
Tanzen und schaffen um mich!« —

Wieder vergiengen Jahres-Millionen;
immer mehr suchte er seine Mitte; er
betete seine eigene Mitte an; und strebte
ihr immer mehr zu; er dachte nunmehr:

»Die heilige Weltmitte!«

Da ward er immer dichter und end-
lich ganz fest; er vergass sein ganzes
Kämpfen und Leuchten und alle seine
Jünglingsgeburten.

»Ich bin fest;
Ich habe meine Mitte.«

Und nun kam wieder ein zweites
Schaffen und Gebären über ihn. Ein
fremdes, wunderbares, bewunderndes
Schaffen. Tausendfaches Leben wuchs aus
ihm. Steine und Pflanzen, die wuchsen
und welkten und neu aufschossen; und
er dachte: »Ich wachse und welke«; und
Thiere, die zeugten und lebten; er dachte:
»Ich lebe und zeuge«; — und dann wurden
denkende Wesen. Jahres-Millionen waren
gegangen; er dachte gar nicht mehr.
Er war ganz hart geworden, bis in sein
Herz; und kalt, ganz kalt. Aber die Ge-
danken seiner Denkwesen wurden immer
gewaltiger; er dachte nunmehr in ihnen.
Die Denkwesen schickten ihre Gedanken
von Stern zu Stern, und tasteten hinaus
in die unendliche Nacht, voll Sonnen-
zeugung und Weltuntergang. Wieder ver-
giengen Jahres-Millionen; da besann sich
der Vaterstern wieder auf sich selbst und
erzitterte vor seinem langen Selbstver-
gessen und seiner erstarrten Kleinheit. Er
besann sich auf seine Glutgrüsse und
seinen grossen Kampf, und er sah den
stetigen Sieg der grossen Nacht.

»Wo sind meine tanzenden Kämpfer;
ich sehe sie nicht mehr? Ich halte sie
nicht: sie haben mich verloren. Nur
wenige von ihnen leuchten noch, die
andern sind todt, und die Nacht hat
sie verschlungen. Ich selbst bin schon
wie ein Todter und kann meine Jüng-
lingsgeburten nicht mehr denken. Bis
zum 20. Sterne reichen die Gedanken
meiner besten Denker! — Wohlan, so
will ich auch keine kleinen Leben mehr
zeugen und keine kleinen Gedanken
leben lassen, die 20 Sterne umfassen.
— Ehe die letzte Nacht mich ver-
schlingt, will ich meinen letzten Tanz
schlingen, meinen eigenen, freien Todes-
tanz, mich selbst hineinwirbeln in das
grosse Sterben; mit all meinen kleinen
Kriechleben, mit all den niedrigen,
kalten Flattergedanken.«

Da gieng ein tiefes Erbeben durch den
Vaterstern und er stürzte richtungslos in
die Nacht. Schneller und schneller ward
sein Sturz, tausend Jahre wuchs sein
rasender Fall.

Aber da geschah das Wunder: — —
Aus seinem Sturze ward ihm eine riesige

Gewalt, eine Über-Kraft, die alles zu sich

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 292, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0292.html)