|
Im Laufe der letzten Jahrzehnte
begann manchen Gehirnen die Ahnung
aufzudämmern, der bildenden Kunst
könne noch eine andere Aufgabe be-
stimmt sein, als die Nachahmung der
Oberfläche der von der Netzhaut wahr-
genommenen Objecte oder die graphi-
sche Darstellung von Begriffen durch
Linien. Dieses ein wenig harmlose Ver-
gnügen mag, meinten sie, bildend sein,
aber es ist eigentlich keine Kunst.
Und viele giengen aus, das verlorene
Königreich zu suchen; aber sie fanden
nur die Eselinnen des Saul
Das Missglücken ihrer Versuche hätte
ihnen beweisen müssen, wie unzulänglich
ihre Mittel waren; Farben und Linien
genügen eben nicht, um die höchsten
Kunstwirkungen zu erreichen. Sie eignen
allein der Kunst des Vertonens, welche
ausschliesslich Licht und Schatten,
Hell und Dunkel kennt und durch die
Formung der Werte der Licht-Ton-
leiter — die sich in Weiss und Schwarz
objectivieren — ähnlich der Musik die
immanenten Eigenschaften der Dinge
verwendet. Von der Malerei trennt sie
ihr vollkommener Verzicht auf äusser-
liche Schilderung, von der Zeichnung
ihre Unabhängigkeit vom Intellect. Als
unmittelbare Emanation der befruchteten
Stimmung kann sie durchaus nicht den-
ken, sondern nur sehen und, dem Wesen
des absoluten Lichtes zufolge, hell-sehen.
Da sie als psychische Kunst die
Schwere überwunden hat und nicht mit
dem Widerstande des Mittels kämpft,
fällt bei ihr auch jene barbarische Unter-
scheidung weg, die man beim »Bild«
zwischen Inhalt und Ausführung macht
— ähnlich wie die Trennung von Text
und Musik bei der alten Oper; sie braucht
nicht wie die Malerei die Hilfe des dol-
metschenden Verstandes, der den Stoff
liefert. Hier leuchtet klärend der Tiefsinn
der Sprache auf: das Wort Stoff be-
deutet zugleich Thema und Materie.
|
Dass das durch das Prisma reflec-
tierte Licht — die Farbe — vom Thema
emancipiert als Stimmungsträger ver-
wendbar ist, beweisen, ausser den so
eindrucksvollen Glasgemälden in katho-
lischen Kirchen, die Werke einiger jetzt-
lebender Maler nur unvollkommen; sie
enden meist mit Farbennothzucht, ab-
gesehen davon, dass nur gewisse eigen-
artige Nervensysteme blaue und violette
Empfindungen tragen können. Die Kunst
der Kohle dagegen arbeitet mit allgemein
verständlichen und dem menschlichen
Bewusstsein a priori bekannten Mitteln;
da Hell und Dunkel an und für sich auf
gewisse Gehirnpartien einen suggestiven
Einfluss haben und bestimmte Gruppen
von Stimmungen untrennbar mit ihnen
verbunden sind. Einige Maler versuchen
bekanntlich ähnliche Wirkungen durch
Zerlegung der Farben in ihre Bestand-
theile und getrenntes Nebeneinander-
setzen derselben zu erreichen, dem Auge
den Rest der Arbeit überlassend.
Wie weit übrigens die Verwirrung
der einfachsten Begriffe in Kunstfragen
geht, zeigt die Ruhe, mit der man
noch immer den einfältigen Versuch
hinnimmt, innerliche Vorgänge durch
die Mittel äusserlicher Nachahmung
auszudrücken. Aufs neue hat dies der
Fall Klinger dargethan; der kluge
Zeichner der Ovid-Auslegungen hat bei
seinem Bilde »Christus im Olymp«
nicht nur die Grenzen seiner Kraft,
sondern auch die seiner Ausdrucks-
mittel verkannt; gerade deshalb wirkt
dieses Bild so klärend auf die Be-
griffe. Durch den Versuch, mit Farbe
und Linie die Gedankenverbindung zu
wecken, die sich an die Namen der
Götter knüpfen, zeigt es, wie unzurei-
chend hier die Vermittlung des mit
überlieferten Vorstellungen arbeitenden
Intellects ist, da es sich hier eben um
Un—mittelbarkeit handelt. Mit der un-
säglich bürgerlichen und nach deutschen
|