Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 299

Sermon wider die Literaten in Dingen der dramatischen Dichtkunstkunst (Fuchs, Georg)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 299

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FUCHS: SERMON WIDER DIE LITERATEN IN DINGEN DER DRAM. DICHTKUNST.

und jeder Art »Unzucht«, und gegen den
Grossmeister deutschen Humors, gegen
Fischart, sind jene »Modernen«, die sich
doch im Durchschnitte nur durch ihre
»Unanständigkeit« von anderen Taglöhnern
des Schriftthums unterscheiden, wahr-
lich die allerärmsten Teufel. So bleibt
denn nichts, als über das unsagbar ge-
ringe Mass an Schulbildung derer zu
lächeln, die diesen Menschen glaubten,
dass es in den Künsten überhaupt auf
eine »Darstellung«, eine Mittheilung an-
komme, wie in der »Literatur«, dass
ferner das Stoffliche eine Unterscheidung
in den Künsten sei, und dass es eine Kunst
ohne schöpferische Formung geben könne.

Es wird ferner eingewendet: Diese
Neueren haben uns aber doch von der
schönfärbenden Unwahrhaftigkeit der
älteren Modegötzen befreit. Dagegen ist
zu bemerken, dass es ganz gleich wäre,
ob sich jene älteren Erzähler, Tugend-
bolde und Possenreisser zwischen das
Volk und die wahren Künstler schieben,
schreiend: »Wir sind die Kunst!« — oder
diese Jüngeren, die ihnen den Marktge-
winst neiden. Die Älteren, weil sie mit
der Überlieferung von den Meistern her
etwas zusammenhiengen, hatten wenigstens
noch eine Ahnung davon, dass die Kunst
die »wirkliche« Welt nicht nachbildet,
sondern eine mögliche Welt mit eigenen
rhythmischen Gesetzen schafft. Nun sahen
sich die, welche zu ihrer Zeit berühmt
waren unter der Bürgerschaft, ausser
Stande, dergleichen zu schaffen. Aber sie
wollten doch den Schein erwecken, als
ob sie es thäten und vermöchten, und so
fälschten sie das Stück Weltbild, das
sich in ihrem Innern darstellte, und gaben
ihm durch solches Schönfärben den An-
schein des »Idealen«, des Schöpferischen.
Der jüngere Schriftkrämer erspart sich
das Schönfärben und gibt nur den wohl-
feilen Naturausschnitt, den er geradeso
in sich trägt wie jeder andere; bald ein
wenig schärfer, wenn er ein aufmerksamer
und gescheidter, bald undeutlicher und ver-
schrobener, wenn er ein blöder und ver-
wirrter Mensch ist. Er unterlässt auch die
Anwendung der falschen Kunstmittel,
die, wenn sie gleich trügerisch sind, immer-
hin Geschick, ja Geschmack und Geist
voraussetzen.

Es wurde in den strebsameren Kreisen
der »Modernen« neuerdings durchschaut,
dass mit der gänzlichen Verfehmung
alles irgendwie Gestaltenden jegliche
Schranken des literarischen Geisteslebens
niedergerissen waren. Die »neue Technik«
erwies sich als so lächerlich leicht, dass
ungezählte Dilettanten, unreife Schulbuben
und sonstiges Völklein, das zu einer ehrlichen
bürgerlichen Hantierung zu faul war, in ihr
»Theaterstücke«, »Seelenstudien«, »impres-
sionistische Gedichte« zu fertigen wusste,
die nicht allein gedruckt und aufgeführt,
sondern auch in gewissen Conventikeln
ernst genommen und mit tiefsinniger
Miene besprochen wurden. Darum denn
die Klügeren wieder eingeschwenkt sind
zur bewährten älteren Methode des »Schrift-
stellerns«, die sie als »Neo-Idealismus«,
»Neo-Romantik« oder sonstwie vorsich-
tig umschrieben, also dass die Erzeug-
nisse dieser Gruppen von denen der einst
so grimmig verfolgten »Conventionellen«
nur dadurch unterschieden sind, dass ihre
Verse noch weit unerträglicher, ihr Sprach-
gebrauch ungehobelter, ihr Inhalt schrullen-
hafter, voll geheuchelter Tollheit, erzwun-
gener Phantastik und seichter Symbolik
ist. — Ein »schriftstellernder« Klein-
bürger, das ist der »Moderne« gemeinhin,
trotzdem er sich als ein Freigeist und
Himmelsstürmer geberden möchte. — Es
kann nichts geben, das herzlicher er-
heiterte, als die Gravität jener Gewürz-
krämer, die für den harmlosen Zeitungs-
leser heute die »deutsche Literatur«
machen.

Inzwischen lasset uns also nur auf die
Werke jener trefflichen Männer sehen,
die nach ihrer Beanlagung vor und über
dem Durchschnitte des neuzeitlichen Schrift-
thums stehen, auf die Werke jener fremd-
artigen Nordländer und ihrer Nachahmer. Sie
haben Euch durchschüttelt, sie haben Euere
Seelen erfasst mit erhabenem Schauer, also
dass Ihr mit Schluchzen und wehem Jubel
Euch ganz dahingabt. Sie sind Euch theuer,
voll herzlichen Dankes hängt Ihr daran
und wollet sie nicht lassen. — Gedenket,
o Freunde, dass Ihr jung seid und dass Ihr
so jung, so dürstend nach unbeschränktem
Erleben in eine Welt verstossen seid, die
ärmer ist denn je eine Welt zuvor. Ihr habt
es gewollt, dass die Darstellung Euerer

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 13, S. 299, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-13_n0299.html)