|
leidenschaftlichen Sehnsucht und Euerer
seelischen Entbehrungen im gesprochenen
Schauspiele recht deutlich, recht grell und
greifbar nachgemalt sei in Euerem Ge-
wande, in Euerer Umgebung, Zug für Zug
»wirklich «, damit sie als eine Anklage em-
pfunden werde. So seid denn auch ehrlich
und gesteht: Nicht die Kunst habt Ihr in
diesen Werken gesucht und durch Euere
Begeisterung bestätigt, sondern die An-
klage. Gebt ferner zu: Ihr habt als
Mass für die Dichtkunst nicht die Kraft
der Gestaltung, sondern diejenigen Wir-
kungen gewählt, welche die wuchtigste
Anklage verbürgen: Deutlichkeit in den
Beziehungen zum »Heute«. Ihr übertraget
diesen Masstab auf die Poesie überhaupt,
obwohl er mit dieser nichts gemein hat.
Zugestanden auch: jene Werke tüchtiger
und bedeutender Männer enthalten Künstle-
risches; zugestanden auch, dieses Künstle-
rische ergriffe Euch viel stärker in solcher
Verbindung mit leidenschaftlichen Anklagen
und genauen Abbildern Eueres Alltages,
als Euch bisher ein Werk reiner Kunst,
etwa die »Iphigenie« Goethes rührte; den-
noch muss Euch vorgehalten werden, dass
die Kunst nicht ein Ersatz für das
Leben sei, kein »Surrogat«, wie die
Deutschen sagen. Könnet selbst Ihr, liebe
Brüder, nicht hinaus über die Gefühls-
schwelgerei der eingehaltenen Mädchen,
die sich mit erregter Einbildung in die
Begebenheiten der Erzählungen versetzen?
Ein anderes Schlagwort, das neuer-
dings im Kauderwelsch der »deutschen«
Literaten aufkam, um aus der Noth der
Unfähigen eine Tugend zu machen,
lautet: Individualismus! Subjectivismus! —
Da denkt man an jenen seltsamen Be-
richt Eckermanns von Goethe: »— dann
aber, wie Einer, der etwas bedacht hat,
sagte er Folgendes: Ich will Ihnen etwas
entdecken und Sie werden es in Ihrem
Leben vielfach bestätigt finden. Alle im
Rückschreiten und in der Auflösung
befindlichen Epochen sind subjectiv,
dagegen aber haben alle vorschreitenden
Epochen eine objective Richtung. —
Jedes tüchtige Bestreben wendet sich
aus dem Inneren hinaus auf die
Welt.« Was den Dichter anlangt, hatte
er dies so begründet: »Solange er bloss
seine wenigen subjectiven Empfindungen
|
ausspricht, ist er noch keiner zu nennen;
aber sobald er die Welt sich anzueignen
und auszusprechen weiss, ist er ein Poet.
Und dann ist er unerschöpflich und kann
immer neu sein, wogegen aber eine sub-
jective Natur ihr bischen Inneres bald
ausgesprochen hat und zuletzt in Manier
zugrunde geht«. Dagegen nimmt sich das
neuzeitliche Evangelium von der künstle-
rischen Bedeutung der »höheren Individu-
alität« an sich, als welche sich nur
irgendwie auszudrücken brauche, um ein
»Kunstwerk« abzusondern, doch sehr ver-
dächtig aus. Wir nehmen auch nicht An-
stand, es als eine Rechtfertigung des Un-
vermögens in der positiven Gestaltung zu
brandmarken, die berechnet ist auf die
moderne kritische Klatschsucht in Dingen
der Poesie. — Die Gelehrten haben zur
Vermehrung der Kenntnis um das Wesen
des künstlerischen Schaffens Forschungen
angestellt, wie das Werk aus dem Meister
hervorgegangen und wie es sich zu seiner
Umgebung und Zeit verhalte. Diese
gelehrte Betrachtungsweise ist allzusehr
an die Stelle des freudigen Geniessens
getreten, statt der Freude gilt das »Ver-
stehen«. — Nietzsche sagte: »Während
der Kritiker in Theater und Concert —
zur Herrschaft gekommen war, entartete
die Kunst zu einem Unterhaltungsobjecte
der niedrigsten Art und die ästhetische
Kritik wurde als das Bindemittel einer
eitlen, zerstreuten, selbstsüchtigen und
überdies ärmlich-unoriginalen Geselligkeit
benützt, so dass zu keiner Zeit so viel
über Kunst geschwatzt und so wenig von
der Kunst gehalten worden ist.«
Nur wolle man die Schuld nicht auf
das Publicum schieben, das nun einmal
so ist und für sich immer Recht hat,
sondern die Schuld ist der Kunst beizu-
messen oder vielmehr dem, was sich auf
der Schaubühne an ihre Stelle schob. Da
man die Kunstmittel entweder ganz auf-
gab oder doch unendlich verflachte und
vergröberte, da man statt dessen die Wir-
kung vom stofflichen Inhalte erwartete,
so konnte das Publicum zu der eigent-
lichen Literatur nur noch das Verhältnis
des »Verständnisses«, des sachlichen »Inter-
esses«, der gelehrten oder nur schwatz-
haften Kritik einhalten. Es ergab sich
als einziges Mittel, das Publicum im
|