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besten und vollen Sinne des Wortes zum
Besuche solcher »ernster Stücke von
literarischer Bedeutung« zu veranlassen,
indem man seine Neugierde durch »zeit-
gemässe« Probleme aufstachelte oder die
Verfasser durch marktschreierische Mittel
»berühmt« machte. Ein »literarisches«
Stück, das dieser Aufreizungen äusser-
lichster Art entbehrt, findet keine Zu-
schauer. Da gieng es denn an ein
Schimpfen über das Publicum. Den
Schriftstellern fiel es gar nicht ein, sich
einmal die Frage vorzulegen, warum
denn ein Shakespeare, ein Molière, ein
Richard Wagner sein Publicum gewonnen
habe, obwohl er gewiss ernst genug vor
dasselbe hingetreten. Wir geben hier die
Antwort auf diese Frage: Bietet dem
Volke die höchste, lebendige Kunst, aber
bietet sie ihm als ein Fest. Muthet ihm
nicht zu, dass es sich vor unzulänglichen
Kunstmitteln um ein nüchternes »Ver-
ständnis« abmühe und dann noch oben-
drein mit dem bitteren Gefühle der Nieder-
geschlagenheit und mit einem schlechten
Geschmack auf der Zunge nach Hause gehe.
Man hat Vorgänge aus dem Leben der
Armen, der Geringen, der Kranken und
Entarteten auf die Bühne gebracht, dra-
matisierte Erzählungen und Feuilletons,
die im Grunde seiner Seele ein jeder
abscheulich findet, denn es sind nicht
nur widerliche Vorkommnisse, die da ge-
zeigt werden, sondern sie werden auch
noch dargestellt in einer kindlichen, breiten
Unzulänglichkeit, für die man das be-
schönigende Wort »Milieu« aus der Werk-
stattsprache der französischen Erzähler
borgte. Aber noch mehr: Diese Vorgänge
sind nicht einmal der sogenannten »Wirk-
lichkeit« getreu, sie sind fast immer ge-
fälscht, indem sie das Volk leiden lassen
mit der seelischen Empfindlichkeit der
verhätschelten »Gebildeten«. Dadurch
wirken sie so ungeheuer aufreizend, da-
durch machen sie »Aufsehen«, deshalb
sind sie von Unternehmern frech an
die Stelle der Kunst gesetzt worden.
Goethe sah einen solchen Zustand rück-
sichtsloser Überwucherung durch die Lite-
raturmode voraus. Er sagte einmal zu
Eckermann: »Jenes ungestörte, unschul-
dige, nachtwandlerische Schaffen, wodurch
allein etwas Grosses gedeihen kann, ist
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gar nicht mehr möglich. Unsere jungen
Talente liegen alle auf dem Präsentierteller
der Öffentlichkeit. Die täglich an fünfzig
verschiedenen Orten erscheinenden kriti-
schen Blätter und der dadurch im Publi-
cum bewirkte Klatsch lassen nichts Ge-
sundes aufkommen. Wer sich heutzutage
nicht ganz davon zurückhält und sich
mit Gewalt isoliert, ist verloren. Es kommt
durch das schlechte, grösstentheils nega-
tive, ästhetisierende und kritisierende Zei-
tungswesen eine Art Halbcultur in die
Massen, allein dem hervorbringenden Ta-
lente ist es ein böser Nebel, ein fallendes
Gift, das den Baum seiner Schöpfungs-
kraft zerstört, vom grünen Schmuck der
Blätter bis in das tiefste Mark und die
verborgenste Faser.«
Die Losung lautet: Hinaus über
die Literatur! Wollt Ihr denn unsere
Cultur, unsere Kunst nur als Möglich-
keit weitergeben, in Büchern aufgezeichnet,
so dass unsere Nachkommen etwa sagen
werden: Seht, diese Kunst hätte das Leben
unserer Voreltern verschönt, wenn sie die
Kraft gehabt hätten, sie ins Leben einzu-
führen, wenn sie über eitel grosse Literatur
und die gleissnerischen Schlagworte der
Modischen und Unschöpferischen hinaus
an die Dichter ihrer Zeit gelangt wären!
Dies gilt von der monumentalen Kunst
überhaupt: Baukunst, Plastik, Fresko-
malerei, Tragödie bestehen als Möglich-
keit. Die Meister entwerfen. Die Entwürfe
werden in Büchern aufbewahrt. Sie aus-
zuführen, daran dachte man seither kaum.
Soll dem Volke eine Augenweide geboten
werden, so hält man sich in jeglicher
Kunst an die Vertreter eines rasch wir-
kenden, gewöhnlichen Geistes: Es wird
für die Geschichtsschreiber dermaleinst
lehrreich sein, zu verfolgen, wie lange der
Deutsche sich gegen seine eigene grosse
Kunst und seinen eigenen Ruhmestitel ge-
wehrt habe. In der Baukunst, in den bil-
denden und schmückenden Künsten ist in
jüngsten Tagen ein Umschwung einge-
treten. Es mehren sich die Zeichen, dass
das Reich der Schönheit wieder nahe
herbeigekommen sei. Einige, und nicht
gar so wenige, wandeln schon unter Euch,
welche die Kunst wieder so ritterlich und
vornehm zu nehmen wissen, wie damal-
einst die Grossen und Erlauchten zu Zeiten
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