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der edelsten Blüte: die Kunst als ein
sinnliches Glück, als das schöne, ewige
Wahrzeichen ihres schönen, doch — ach
— allzu flüchtigen, tief ausgekosteten
Lebens!
Die Kunst ist ein Überschwang, sie
ist das dankbare, schaffende Glück des in
Schmerz und Lust ersättigten Lebens.
Nach dem Mahle trat der Sänger in die
Halle vor die siegreichen Männer und die
üppig lächelnden Frauen und vor den er-
höhten König. Ihr aber habt niemals ge-
sessen an den Tafeln des Sieges. Ohne
Prall und Fährnis glitt Euch gleichmässig
ein graues Leben von dannen mit geringer
Qual und geringer Lust. Kaum habt Ihr
etwas erlebt, das Ihr nicht mit Geld, ja
mit Scheidemünze aufwägen könnt. Nun
verlangt Ihr die Eindrücke, die Euch das
Leben versagte, in Euerer Einbildung nach-
zuholen. Dazu sollen die Reste des Kunst-
vermögens »ausgenützt« werden. Ihr er-
niedrigt die Kunst der Schaubühne jetzt
noch geradeso wie jene, die einst von
ihr merkwürdige Mittheilungen und Predigt
der Tugend verlangten. Ihr gerathet in
Entzücken vor der halben Kunst; vor der
Fülle der Kunst aber bäumt Ihr Euch auf
in ohnmächtiger Wuth. Für die Gelehrten
unter Euch ist es dagegen eine mit Fleiss
und Scharfsinn betriebene Arbeit, die
Kunst zu erkennen, zu »verstehen«, zu
beurtheilen.
Ich aber sage Euch: Die Kunst der
Schaubühne hat eine Stätte in Eurem
sinnlichen Leben, und die soll ihr
wiedergegeben werden. Aus dieser
Erkenntnis kommen wir zur Überwin-
dung der bisher geltenden lehr-
haften (literarischen) Auffassung
unserer Kunst und ebenso der stofflichen
(als »Lebensersatz« im romanhaften Sinne).
Es wird an der Befreiung der bildenden
Künste eher zu ermessen sein, wie das
zu verstehen sei. Ihr habt in der bildenden
Kunst Euch abgewendet von der Dar-
stellung der Historien und der niedlichen
Erzählungen. Ihr habt ferner gebrochen
mit der freudelosen Kennerschaft und habt
begonnen, Euere Hallen und Gemächer
mit Werken der Bildnerei zu schmücken.
Jetzt erblickt Ihr in den Werken der
Maler und Bildhauer nicht sowohl seltsame
Gegenstände, die man zur Belehrung
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und wissenschaftlichen Erörterung in ab-
geschlossenen Speichern (»Museen«, »Ga-
lerien«) aufhebt, sondern zuvörderst schöne
Dinge, die an einem bestimmten Platze
in der Umgebung Eueres Lebens einen
als nothwendig empfundenen Klang,
eine schmückende Erfüllung bieten sollen.
Ist die bildende Kunst ihrem Ursprunge
und ihrer natürlichsten Beziehung zum
Leben nach — Schmuck, so ist die Kunst
der Schaubühne — ein Fest. Das Leben er-
richtet demnach aus seinen Bedürfnissen die
Rahmen, die ja bei der Malerei und bei der
Schaubühne sichtbar und gegenständlich
sind. Innerhalb dieser Rahmen, die der
Künstler zur Erhöhung der festlichen
Freude schöpferisch erfüllen soll, kann
man sagen, dass das Leben sich wieder-
hole. Allein diese Wiederholung findet
nicht statt unter den gleichen Gesetzen,
wie in der von uns für »Wirklichkeit«
ausgegebenen Welt, sondern sie vollzieht
sich, gezwungen durch die Umrahmung,
in abgekürzten Rhythmen. Während
die »Aussenwelt« infolge ihres ungeheuer
langsamen Pulsschlages uns, die wir nur
wenige Tage leben, niemals als Ganzes,
als Vollendetes erscheinen kann, gelangt
die Kunst in ihrem schnelleren Takte zu
einem Ende, so dass in ihr das Einmalige
immer zugleich als das Ewige, der Aus-
schnitt als das Ganze, das Einzelne als die
Gattung erscheint, kurz, dass wir die Welt
im Bilde so sehen, wie etwa Götter die
wirkliche Welt sehen möchten, indem sie
in alle Vergangenheit und alle Zukunft
schauen und aller Dinge Grund und aller
Dinge Zweck erkennen und den Sinn
alles Lebens. Sobald abgesehen wird
von dieser Vereinfachung und rhythmischen
Übertragung, sobald man »lebensgross«
und »lebenswahr« erscheinen möchte,
zerstört man die natürlichsten Grundlagen
der Kunst. Deshalb ist der neuerdings
von einzelnen verkündete »Naturalismus«
nicht eine Richtung in der Kunst, sondern
eine Richtung gegen die Kunst, d. h. er
ist nur Literatur. Sollten aber etwelche
die Barbarei zum Äussersten und des
menschlichen Namens Unwürdigen treiben
wollen und trotzend ausrufen: »Wohlan
denn, gegen die Kunst um der Wahrheit
willen!« — so sei ihnen nicht allein ent-
gegengehalten, dass die Kunst, die im
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