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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 276

Text

MUTHER: VELASQUEZ.

des Pinsels. Hals namentlich, als echter
Sohn des kriegerischen Jahrhunderts, scheint
vor der Staffelei zu stehen mit dem Be-
wusstsein, statt des Pinsels einen Husaren-
säbel zu führen.

Für Velasquez sind diese Dinge nicht
vorhanden. Es gilt für ihn, was Nietzsche
über Voltaire schreibt: »Überall, wo es
einen Hof gab, hat er das Gesetz des
Gut-Sprechens und damit auch das Ge-
setz des Stils für alle Schreibenden ge-
geben. Die höfische Sprache aber ist die
Sprache des Höflings, der kein Fach
hat
und der sich selbst in Gesprächen
über wissenschaftliche Dinge alle be-
quemen technischen Ausdrücke verbietet,
weil sie nach dem Fache schmecken.
Deshalb ist der technische Ausdruck und
alles, was den Specialisten verräth,
in Ländern einer höfischen Cultur ein
Flecken des Stils
.« Für Velasquez war
alles, was den Specialisten der Palette
verrathen konnte, ein Flecken des Stils.

Vor coloristischen Extravaganzen hat
er instinctiven Abscheu. Nachdem er in
Sevilla eine feste pastose Malerei gehabt,
fette, saftig braune Farben geknetet, be-
wegt er sich, seit er bei Hofe ist, nur in
einer schwarz-perlgrauen Tonscala, die in
ihrer Einfachheit kein Gegenstück in der
ganzen Kunst des Jahrhunderts hat. Seine
coloristische Enthaltsamkeit ist so gross,
dass man in der Zeit der Asphaltmalerei
von ihm sagte, er habe das Wesen der
Farbe nicht begriffen, denn alle seine
Bilder seien monochrom. Wie die Farbe,
verleugnet er den Pinsel. Keine Skizze,
nichts geistreich Improvisiertes gibt es
von ihm. Wirken bei Hals die Pinsel-
striche wie Säbelhiebe, so merkt man bei
Velasquez überhaupt nichts von der
Mache. Mit nichts, mit dem blossen
Willen pflege Velasquez seine Bilder zu
malen, schrieb Mengs.

Auch sonst kennt er keine »künst-
lerischen« Rücksichten. Er fühlt sich als
Officier in der »Übergabe von Breda«,
und keine malerischen Gründe können ihn
veranlassen, vom Exercierreglement abzu-

weichen. Er fühlt sich als Jäger in seinen
Jagdbildern und gibt daher keine freien
Improvisationen wie Rubens, sondern
sachliche Documente der Waidmanns-
thaten Philipps IV. Er fühlt sich als
königlicher Stallmeister in den Reiter-
porträts und fragt deshalb gar nicht, ob
eine Attitüde in künstlerischem Sinne schön
ist. Alles muss richtig sein, der Kritik
des gewiegtesten Sportsmannes Stand
halten; tadellos der Sitz der Reiter, die
Gangart der Pferde so, dass nichts gegen
die hohe Schule verstösst. Ebenso ist er
in seinen Audienzbildern Ceremonien-
meister, nicht Maler. Über seinem Schäften
schwebt kein Schönheitsideal, sondern das
Reglement der spanischen Etikette. Er,
der mehr als jeder Veranlassung gehabt
hätte, ein Costüm zu ersinnen, das ihm
Freiheit und malerischen Schwung ge-
stattete, hält sich nicht nur strict an das
Gegebene, sondern behandelt die Toilette
mit einer fachmännischen Kenntnis, als
sei er Vorstand der königlichen Civil-
und Militärgarderobe gewesen. Noch
weniger wird einer schönen Linie zu-
liebe von den Vorschriften der Etikette
abgewichen. Mögen diese Bestimmungen
unnatürlich sein — sein Ziel ist nur, dies
Unnatürliche in denkbar grösster Richtig-
keit zu malen. Jeder Verstoss gegen die
Satzungen des Hofceremoniells würde ihm
als plebejische Geschmacklosigkeit er-
scheinen.

Und gerade aus diesem strengen Fest-
halten an der Hofetikette ergibt sich die
unerhört feudale Wirkung der Bilder. All
die schönen Gesten, all die kunstvoll
drapierten Vorhänge, die man auf anderen
höfischen Bildnissen sieht, werden als
billige Clichéschönheit empfunden. Eine
unverfälschte aristokratische Schönheit
herrscht bei Velasquez. Gerade weil er
keine Künstler-Einfälle in diese Welt des
Uradels hineintrug, spiegelt in seinen
Bildern das Wesen altspanischer Majestät
so überwältigend sich wieder. Sie scheinen
Werke, die gar kein Einzelner, sondern
der Geist des Royalismus geschaffen.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 12, S. 276, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-12_n0276.html)