Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 418

Kaiserin Elisabeth (Barrès, Maurice)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 418

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BARRÈS: KAISERIN ELISABETH.

sichtigen Intelligenzen, die froh sind zu
existieren und befriedigt von Welt und
Schicksal. Es ist dies der Gefühlszustand,
aus dem jene grossen künstlerischen und
religiösen Melancholien erstehen, die der
Menschheit zur Ehre gereichen. Was liegt
an dem Kern der Lehren! Der Schwung
macht den moralischen Wert. Was ein
Pascal »für die Ewigkeit leben« nennt,
das nennen wir: »sich beobachten«, »die
Nichtigkeit des Lebens begreifen.« Aber
diese Sattheit, die in jedem Augenblick
die Würze des Todes fordert, übt wohl
nur so tiefen Eindruck aus, weil wir sie
bei einer Frau treffen, die vergöttlicht
war durch ihre Schönheit, ihr Herrscher-
diadem und ihre Einsamkeit, vergöttlicht
durch ihre Leiden, von denen sie sich
befreite, indem sie sich in sich selber
flüchtete, und durch den Mordanschlag,
der ihr nichts mehr anhaben konnte, weil
sie dem Tode vorausgeeilt war.

Als eine Bestie, von jenem Fatum
geleitet, das die antike Tragödie beherrscht,
auf dem Ufer des Sees die Kaiserin anfiel,
hatte sie zweifelsohne noch an Dem theil,
was die Menge »das Leben« nennt, denn sie
reagierte noch auf Eindrücke; aber da
sie kein Ziel, keinen Willen, gar nichts
mehr hatte, was ihr zu eigen gewesen
wäre, war sie — vom Standpunkte des
Philosophen — dem Sein entfremdet und
thatsächlich eine Todte. Das Herz durch-
bohrt von jener kleinen Klinge, setzt sie
noch ihren Weg fort. Erst auf der Schiffs-
brücke sinkt sie zusammen, und da fragt
sie denn:

»Was gibt’s?«

Sie ist es, die stirbt, und sie fragt:
»Was ist geschehen?«

Diese hohe poetische Gestalt ist nur
durch Zufall ans Licht gekommen. Per-
sonen dieser Art leiden, in jedwedem Milieu,
viel unter der Dummheit der Menschen.
Sie lernen, dass es nicht gut thut, laut
unter ihnen zu denken. Wenn sie sich
manchmal in ihrer Jugend so weit gehen
lassen und darthun, welche Besonder-
heiten in ihrem Innenleben vorgehen, be-
dauern sie das sehr schnell; von da ab
verschwinden sie freiwillig hinter der
Persönlichkeit, die sie darstellen müssen,
und verzichten, auf alles, was ihnen Hass
oder Sympathie bringen könnte. Übrigens

ist dieser Hang, dieses Bedürfnis nach
klösterlicher Einsamkeit weniger Vorsicht
vor dem Leben, als Gehorsam gegen die
Instincte und gegen die Vorliebe zur
Traurigkeit. Sie leiden nicht darunter,
»lebendig begraben« zu sein, wie die Welt
es nennt.

Hatte Dr. Christomanos das Recht,
sie, die er der Gemeinschaft der Dichter
zuführt, diesem freiwilligen »in pace«-Sein
zu entreissen? Jung, von Träumen durchbebt,
und wie dazu geboren, ihnen Ausdruck zu
geben, konnte er sich nicht an der Seite
dieser dichterisch so wunderbar beseelten
Kaiserin seine Augen ausreissen und seine
Zunge abschneiden. Er erzählt, was er
gesehen hat, und wahrlich: drückt er
nicht in bewunderungswürdigen Rhythmen
den Zauber aus, unter dessen magischem
Bann er gestanden? Wenn er, entflammt
durch solche Nähe, etwas von einer Opfer-
flamme genommen, die sich ganz allein
verzehren wollte, so darf man ihn nicht
des Raubes beschuldigen, wohl aber der
Verzücktheit. Er konnte den Becher nicht
in das Meer zurückwerfen, den ihm ein
— vielleicht von der Vorsehung gesandter
— Zufall der Vergessenheit zu entreissen
gestattet. Ich habe nie erfahren, dass
man irgendwo die Unzartheit der Freunde
Virgils getadelt hätte, die sich geweigert
haben, die Aeneide zu vernichten, wie er
es auf seinem Todtenbette befohlen hatte.

Ach! solange der Becher des Königs
von Thule auf dem Sande des Abgrundes
liegt, reizt er unseren Drang nach dem
Geheimnisvollen und ist es wohl wert, dass
wir, um ihn zu retten, so manche
Schwierigkeiten überwinden; aber was
wird er wert sein, wenn man ihn unter
Gästen die Runde machen lässt, die —
auf öffentlichen Plätzen angeworben —
sich roh betrunken haben? Möge es der
Himmel fügen, dass Kaiserin Elisabeth,
diese in sich selbst versunkene Seele, die
fähig war, ihre eigene Überzeugung zu
erfinden, die fiebernde vor Sehnsucht nach
den unsichtbaren Dingen, nicht etwa ein
literarisches Thema oder gar, wie man
sagen wird, eine ästhetische Erscheinung
werde! Man sehe nur, was man uns aus
ihrem Vetter Ludwig II. gemacht hat:
einen romantischen Cadaver, am Strande
des Starnbergersees hingestreckt und schon

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 418, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-18_n0418.html)