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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 440

Text

NOTIZEN.

wahre Civilisation unter den Menschen
verbreitet hat, nicht aber jene Parodie der
Civilisation, die dem an Wissen und In-
telligenz reichen Menschen das Recht gibt,
über das Thun eines anderen Menschen
zu verfügen und ihn der Verantwortlichkeit
für seine eigenen Handlungen zu berauben,
sondern jene Civilisation, die den Menschen
hindert, sich seiner Freiheit zu entäussern,
und die ihm in jeder Lebenslage über-
legen lässt, wie verantwortlich er für seine
eigenen Thaten ist. Dann nur wird die
Abrüstung erfolgen, und diese Abrüstung
wird nicht mit dem Willen der Machthaber
geschehen, sondern gegen ihren Willen.
Will man sie erzielen, so sollte man nicht

Conferenzen unter der Ägide von Regie-
rungen veranstalten, sondern wahre Civi-
lisation verbreiten
. Jene wahre Ci-
vilisation, die das Project einer Friedens-
conferenz nicht, wie das jetzt geschehen,
mit allgemeinen Sympathie-Kundgebungen
und eitlen Hoffnungen aufnimmt, wohl aber
mit Verachtung und Spott, wofern nicht
mit Entrüstung Die Abrüstung wird
erfolgen, wenn die Menschen sich schämen
werden, Kriegswaffen zu tragen. Die An-
nahme aber, dass die Conferenz hier Ab-
hilfe schaffen könne, scheint mir falsch.
Diese Conferenz wird den Menschen das
Mittel zur Rettung und Befreiung nur
verbergen.*

* Was denn inzwischen auch geschehen ist (D. RED., die sich dem Dichter nicht in
allen Punkten seines Excurses anzuschliessen vermag.)


NOTIZEN.

Unter dem Personen-Verzeichnis zu Mau-
rice Maeterlincks
Drama »Blaubart und
Ariane
« (»Wiener Rundschau«, III., 17) brach-
ten wir die Mittheilung, dass der Dichter damit
umgehe, Theile seines Werkes in Musik setzen
zu lassen, und deshalb sangbare Lieder in den
Text eingeflochten habe. Maeterlinck schreibt
nun, dass wir dieser seiner Absicht, deren Be-
tonung ihm mit Recht nicht unwichtig scheint,
zu wenig Nachdruck gegeben hätten. Vielleicht
trägt der folgende Passus seines Briefes auch
zum besseren Verständnisse der Dichtung bei:

» Vous n’avez pas assez dit que la
pièce n’est pas un drame, mais un simple
libretto, un canevas pour le musicien. Je vous
supplie donc de faire passer une note à ce sujet
dans les journaux. Si j’avais entendu faire un
drame ou une fantaisie féerique sans musique,
j’eusse donné à tout un développement dix fois
plus grand. Ici, je n’ai eu en vue que les
exigences de la musique qui veut avant tout
la brièveté «

Aus der Fülle sympathisierender Worte,
die das Drama geweckt, heben wir die folgenden
heraus, die uns von anonymer Seite zugehen:

»Es ist wie das Meer und rauscht, brandet,
leuchtet. Leuchtet und glitzert. Man stürzt sich
hinein und schwelgt in Wasser, Wellen, Sonne.
Alles ist wie ein Rausch. Die Augen schauen
mit Staunen, die Lippen zittern, und innen ist
eine hohe glühende Seligkeit. So viel Licht,
brausendes Licht, und so viele Farben, die
jauchzen und singen. Das ist die Sprache

Man trinkt — trinkt — trinkt — — ver-
schluckt fast die Perle im Weine. Aber diese
Perle ist eine schimmernde Wahrheit:

Das Weib ist geknechtet —

Das Weib soll Freiheit haben — —

Aber wie? Gibt es nicht Viele, die in einem
Kerker, den der Mann bewacht, lieber leben,
als in — Freiheit? «

Es erübrigt noch die Nachricht, dass das
Drama in einer Berliner Matinée zur Darstel-
lung gelangen wird.

D. RED.



Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. —Verantwortlicher Redacteur:
Constantin Christomanos.

K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I. Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 18, S. 440, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-18_n0440.html)