Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 19, S. 464

Die Reden Gotamo Buddhas (Graevell, Harald van Jostenoode)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 19, S. 464

Text

BÜCHER.

Es ist ein grosses Verdienst der Ver-
lagsbuchhandlung, dieses splendid aus-
gestattete Werk herauszugeben, dessen
zweiter Band die Reden vollständig
bringen wird, wie sie Buddha seiner-
zeit gehalten hat. Der erste Band ent-
halt 50 Reden. Die Übersetzung ist ge-
treu nach dem Originale mit all seiner
Weitschweifigkeit. Für uns ist die be-
ständige epische Wiederholung, wie wir
sie aus Homer von der Schule her
kennen, ungemein ermüdend. Der Inhalt
selbst ist in zweifacher Hinsicht interessant.
Einerseits, weil nun zum erstenmale der
grosse Mann selbst zu uns spricht, der
die Welt schon lange vor Christus aus
den Angeln gehoben hat, und anderer-
seits, weil damit ein authentisches Docu-
ment wiedergegeben ist, das uns seine
erhabene Persönlichkeit deutlich zeigt.
Man kann behaupten, dass sie durch
diese Veröffentlichung nur noch gewachsen
ist; ja, dass sie sich nur mit Jesus ver-
gleichen lässt, dass also die tadelnden
Stimmen endlich verstummen müssen, die
uns vom Buddhismus ein Zerrbild entwerfen,
wie es noch kürzlich der Jesuit Baum-
gartner
gethan, der die buddhistischen
Mönche für Idioten zu halten scheint.
Weit gefehlt! Sie sind vielmehr Über-
menschen. Nur ist es für uns kaum
möglich, zu diesem Grade der Entsagung
je zu gelangen. Nicht allein unsere abend-
ländische Philosophie hindert uns daran,
so tief in die Geheimnisse aller Dinge
einzudringen, sondern vor allem unser
compliciertes Leben. »Wir können nicht
mehr in den Wald gehen
.« Im dich-
testen Walde würde uns der Herr Gendarm
auffinden und wegen Vagabondage mit-
nehmen. Aber wir können uns wenigstens

geistig einigermassen in den Urwald der
indischen Gedankenwelt zurückziehen und
in der Stille ausruhen von dem Getriebe
der Welt. Wer das vorhat, der nehme
das Werk Neumanns zur Hand. Er wird
den Vollendeten leibhaftig vor sich sehen,
der da erhabene Worte zu den ehrfürchtig
lauschenden Brüdern spricht und sich nach
seiner vollen Erweckung — wie es später
Jesus gethan — mit der Gottheit iden-
tificiert. Da er nach Benares geht, begegnet
ihm ein nackter Büsser, der ihn fragt:

»Heiter, o Bruder, ist Dein Angesicht,
hell die Hautfarbe und rein! Um wessen
willen, o Bruder, bist Du hinausgezogen?
Wer ist wohl Dein Meister? Oder zu
wessen Lehre bekennst Du Dich?«

Er aber antwortet:

»Allüberwinder, Allerkenner bin ich,
Von allen Dingen ewig abgeschieden,
Verneinend Alles, lebenswahngeläutert,
Durch mich allein belehrt, wen kann ich
nennen?

Kein Lehrer hat mich aufgeklärt,
Kein Wesen gibt es, das mir gleicht,
Die Welt mit ihren Göttern hat
Nicht einen Ebenbürtigen.

Denn ich bin ja der Herr der Welt,
Der höchste Meister, der bin ich,
Ein einzig Allvollendeter,
Vollkommen Wahnerloschener.

Der Wahrheit Reich erricht’ ich nun
Und wand’re zur Benaresstadt:
Erdröhnen soll in finst’rer Welt
Die Trommel der Unsterblichkeit.«

Die Welt ist heute finsterer denn je.
Möge die Trommel der Unsterblichkeit
lauter tönen als jemals!

HARALD GRAEVELL VAN JOSTENOODE.


Herausgeber: Constantin Christomanos und Felix Rappaport. —Verantwortlicher Redacteur:
Constantin Christomanos.

K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I. Wollzeile 17. (Verantwortlich A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 19, S. 464, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-19_n0464.html)