Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 19, S. 463

Gemmel: »Die Perlenschnur« Die Reden Gotamo Buddhas (Werner, Prof. Dr. Richard MariaGraevell, Harald van Jostenoode)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 19, S. 463

Text

BÜCHER.

»Die Perlenschnur«.—Wer mit dem
aufrichtigen Antheil des Literaturfreundes
der deutschen Dichtung durch die mannig-
faltigen Irrgänge folgte, die sie während
der letzten Jahre so oft eingeschlagen,
wer sich bemühte, die allmählichen Fort-
schritte zu erkennen und das Wesentliche
vom Zufälligen zu scheiden, der wird
manchmal zu einem Aussichtspunkte
gelangt sein und aus dem Kreuz und Quer
der Pfade wohl einen Blick auf den zurück-
gelegten Weg geworfen haben. Wenn er
dann vielleicht vergleichsweise die Ver-
gangenheit betrachtet, wird ihm die Gegen-
wart keineswegs so unbedeutend erscheinen,
als er gedacht. Liest er etwa einen
älteren Roman, der ihm seit Jahren nicht
mehr zu Gesicht gekommen, wieder einmal,
dann wird er ihm gealtert, wenn nicht gar
veraltet erscheinen, weil er sich unbewusst
an die neue, modernere Art des Erzählens
gewöhnt hat. Im Theater macht er wohl
die gleiche Erfahrung, am stärksten aber
wird das Gefühl des Unbehagens bei einem
Theil der Lyrik sein, den man sich noch
im achten Jahrzehnt unseres Säculums ge-
fallen liess. Man kann, ohne zu über-
treiben, die Thatsache feststellen, dass die
Lyrik am ersten von der jüngeren Gene-
ration zu einer neuen Blüte gebracht
wurde. Freilich gieng auch hier das Streben
anfangs mehr theoretisch ins Nebulose
der Zukunft; aber allmählich steigerte sich
das Können, vertiefte sich das Wünschen,
stärkte sich das Persönliche, so dass wir
nun schon auf eine durchaus nicht mehr
kleine Reihe von Lyrikern hinweisen
können, die modern und zukunftverheissend
zugleich genannt werden dürfen.

Nun kommt Ludwig Gemmel und
bietet uns in einem ansehnlichen Klein-
quartbande von nahezu vierhundert Seiten
»Die Perlenschnur« als »Antho-
logie moderner Lyrik
«. (Mit Buch-
schmuck von Hans Heise. Verlegt bei
Schuster & Loeffler, Berlin und
Leipzig
.) Es ist unsäglich schwer, über
eine solche Arbeit gerecht zu urtheilen,

denn ein Masstab für die Auslese lässt
sich kaum finden, besonders wenn der
Herausgeber sich hinter zutreffenden und
unzutreffenden Deckungen verschanzt.
Gemmel nimmt für sich selbstverständlich
auch das Recht des subjectiven Gefühls
in Anspruch und weist von vornherein
jeden Einwand zurück. Die Freiheit wird
ihm kein Einsichtiger bestreiten, aber eine
gewisse Grenze muss sich ziehen lassen.
Es geht doch kaum an, eine »Perle«, die
der Dichter selbst als bewusste Fälschung
gekennzeichnet hat, mit anderen in eine
Schnur zu reihen; es ist kaum erlaubt,
an bedeutsamen Erscheinungen einfach
vorüberzugehen, ohne sie auch nur durch
eine kurze Probe zu kennzeichnen. Ich
denke, um das Wichtigste zu sagen, an
Hugo v. Hoffmannsthal, an Stephan
George. Mag Gemmel über sie denken,
wie er will; sie sind Dichter, die schon
deshalb zu berücksichtigen waren, weil
andere, die mit ihnen zusammenhängen,
in dieser Anthologie Platz gefunden haben.
Aber selbst von Gemmels Standpunkt aus
durfte z. B. Anna Ritter nicht übersehen
werden, weil sie neben den wenigen
Dichterinnen, die er bevorzugt, neben:
Anna Croissant-Rust, Marie Janitschek,
Thekla Lingen und Hermione v. Preuschen-
Telmann einen Platz beanspruchen kann.
Es fällt mir nicht ein, auf alle Lücken
hinzuweisen; mir kam es nur darauf an,
zur Erläuterung meines principiellen Ein-
wandes Namen als Proben zu nennen.
Im ganzen jedoch darf man sich des
Bandes freuen; vielleicht wird mancher
Leser, der nicht imstande war, die neueste
Entwicklung der deutschen Lyrik zu ver-
folgen, durch diese Proben zu weiterer
Lecture der Dichter angeregt.

PROF. DR. RICHARD MARIA WERNER.

Die Reden Gotamo Buddhas. Aus
der mittleren Sammlung Majjhima-
nikāyo des Pāli
-Kanons zum ersten-
mal übersetzt von
K. E. Neumann.
I. Band, Leipzig, W. Friedrich, 568 S.
Gross-Lexikon, 30 Mark.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 19, S. 463, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-19_n0463.html)