Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 23, S. 539
Text
Hospital am Ufer des Canals,
Hospital im Juli;
und doch macht man Feuer im Saal
und die Passate pfeifen längs des Canals.
„O, nähert Euch nicht den Fenstern!“
Fremde gehen durch einen Palast.
Ich seh eine Yacht im Sturm.
Ich sehe Herden auf allen Schiffen.
„Es ist besser, die Fenster bleiben geschlossen,
sonst ist man schutzlos dem Sturm draussen preisgegeben.“
Man meint, es liege ein Treibhaus im Schnee,
man meint, eine junge Mutter werde vorgesegnet an einem stürmischen Tage,
man sieht Blumen auf einer Wolldecke ausgestreut,
ein Brand ist ausgebrochen an einem Sonnentag,
und ich gehe durch einen Wald voll Verwundeter.
O, da kommt endlich der Mond!
Ein Wasserstrahl erhebt sich inmitten des Saals,
eine Schar kleiner Mädchen öffnet die Thür.
Ich sehe Schafe verlassen auf einer grünen Insel;
und schöne Blumen auf einem Gletscher;
Lilien in einer Marmorhalle.
Man feiert ein Fest in einem nie betretnen Walde.
Eine morgenländische Flora wuchert in einer Eisgrotte.
Horch! man öffnet die Schleusen!
Und die Passate durchwühlen die Flut des Canals.
Aber ach, die barmherzige Schwester erhält das Feuer!
Das schöne grüne Uferschilf brennt!
Ein Schiff voll Verwundeter kämpft mit der Flut im Mondenschein.
Alle Töchter des Königs sind in einem Boot im Sturm,
und Prinzessinnen sterben in einem Feld von Schierling.
O, öffnet nicht die Fenster!
Hört, noch pfeifen die Passate!
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 2, Nr. 23, S. 539, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-02-23_n0539.html)