Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 14

Die Kaiserin Richard Wagner und das französische Publicum (Khnopff, FernandMauclair, Camille)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 14

Text

MAUCLAIR: WAGNER UND DAS FRANZÖSISCHE PUBLICUM.

Alfred Ernst, haben das Verdienst, den
Text sehr knapp zusammenzufassen und
sich vortrefflich dem Gesange anzu-
schmiegen; doch wenden sie Streichungen
an, die sie schwer verständlich machen.

Jetzt endlich, da Wagner überall auf-
genommen wird, hat das Publicum volle
Zeit, sich zu unterrichten; doch als man
nur symphonische Fragmente spielte, war
es ziemlich natürlich, dass die große
Masse nichts davon verstand. Das sind
die Gründe, die mit Hilfe des Chauvinismus
den heftigen Widerstand gegen Wagner
in den Lamoureux-Concerten und etwas
später in den Concerten der »Künstlerischen
Vereinigung« entfesselten, die Eduard
Colonne, der heute mit Charles Lamou-
reux der große Begründer der Pariser
Orchester ist, mit vielem Glanze leitete.

Ich erinnere mich jetzt noch, als wäre
es vor kurzem gewesen, der Zeit, da
die Programme Lamoureux’ folgende Mit-
theilung enthielten: »Um den sehr leb-
haften Discussionen, die die Ausführung
der Musik Wagners in unseren Concerten
erregt, ein Ende zu machen, bitten wir
die geehrten Zuhörer, die dieser Musik
feindlich gegenüberstehen, die Vorführung
durch ihre Unterbrechungen nicht zu ver-
hindern, und die geehrten Anhänger, die
einzelnen Piècen nicht da capo zu ver-
langen«. In der That erregte Lamoureux
in jedem Concerte einen Sturm des Un-
willens, indem er hartnäckig Wagner auf
seinen Programmen behielt. Wem wird
eine solche Notiz heut’, da ein ungeheurer
und einstimmiger Beifall jeden Sonntag die
Schlusscene der »Götterdämmerung«, das
Vorspiel zum »Parsifal« oder das »Waldes-
rauschen« begleitet, nicht prähistorisch
erscheinen? Und doch sind seit jener Zeit
noch keine 10 Jahre verflossen! Lamoureux
setzte seiner muthigen Initiative die Krone
auf, als er im Edentheater »Lohengrin«
zur Aufführung brachte. Es fand ein
richtiger Straßenkampf statt. Die von
Paul Déroulède geleiteten Truppen der
»Patriotenliga« überfielen die Zuschauer
und beschimpften sie. Es fanden heftige
Schlägereien statt, die von der Regierung
nicht verhindert wurden. Die Zeitungen
überschütteten die Anhänger dieser ver-
dammten Musik mit Schimpfreden. La-
moureux verlor dabei eine bedeutende

Summe, ließ sich aber nicht entmuthigen.
Er fuhr fort, Wagner auf seine Sonntags-
Programme zu setzen. Gleichzeitig schufen
die Schüler von César Franck: Vincent
d’Indy, Ernest Chausson, Debussy,
Ropartz, Emanuel Chabrier, der Pianist
Raoul Pugno, der Violinist Eugène Ysaye
die »Nationale Musikgesellschaft«,
deren Concerte im Verein mit denen von
Lamoureux und Colonne Wagner und
Schumann im besonderen bekannt machten.
Sie giengen mit der Elite der jungen
französischen Schriftsteller, die im Jahre
1887 unter dem Namen »Symbolisten«
mit Glanz hervorgetreten waren, nach
Bayreuth. Bei jeder Rückkehr von den
Vorstellungen in Bayreuth schuf diese
kleine Armee neue Proselyten. Die Artikel
über das Schaffen Wagners wurden zahl-
reicher, die ganze Jugend der Studenten, die
für den Symbolismus und die von Wagner
ausgehenden Ideen Mallarmés gewonnen
wurde, vermehrte sich jetzt an Zahl und
Stärke und wurde ihrerseits zur Majorität.
Eine tiefe Ideenumwälzung, vollzog sich
von 1887 bis 1892 unter der Einwirkung
der Bewunderung für die allegorische Kunst
Wagners in der französischen Rasse und
dem französischen Geschmack! Der ver-
spottete und lächerlich gemachte theore-
tische Symbolismus behauptete sich trotz
allem. Stéphane Mallarmé und Catulle
Mendès erklärten die allgemeinen Ideen
desselben, und zwar der eine der Elite der
jungen Männer, der andere dem Publicum
der bürgerlichen Zeitungen. Die Vorträge,
die Privatvorführungen wurden zahlreicher.
Endlich, als die reactionäre Direction der
Großen Oper unter dem heftigen An-
griffe der unabhängigen Schriftsteller und
Kunstfreunde, die sie jeden Tag in den
Zeitungen und Revuen anklagte, ihre Ent-
lassung genommen hatte, entschloss sich
die neue Direction, »Lohengrin« aufzu-
führen. Es fand auf der Straße eine
ebenso heftige Kundgebung wie bei dem
Versuche Lamoureux’ statt. Ich erinnere
mich, dass ich an jenem Abend in dem
Keller der Großen Oper eingeschlossen
wurde, weil ich »Es lebe Wagner!« ge-
rufen hatte. Obwohl die Regierung der
Polizei ganz besonders anempfohlen hatte,
die Vorstellung zu schützen und die Oppo-
nenten zu verhaften, hatte der Beamte,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 1, S. 14, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-01_n0014.html)