Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 2, S. 36

Farbe und Linie II. (Lindner, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 2, S. 36

Text

LINDNER: FARBE UND LINIE.

befruchtend zurückfuhrt und keinen Augen-
blick lang den Zusammenhang mit ver-
gangenen Entwicklungen oder den Einklang
mit aller menschlichen und aller kosmischen
Intuition vergessen lässt. Wer also noch
fähig ist, zu der Sonne Homers zu beten,
ein deutsches Volkslied unter Thränen zu
lesen, das Staunen, Schauen, Lauschen
der Kinder zu ehren oder mit Thieren
stumme Discurse zu führen, wird gerade

gut und reif genug sein, eine moderne
Linie, die »das Empfinden der Gegenwart
ausdrückt«, oder eine Farbe, die »alle
geheime Sehnsucht unserer Tage in sich
schließt«, in ihren psychischen Wirkungen
restlos zu erfassen, sofern er nur mit
wachen Sinnen in seine Zeit lauscht und
willig sich prägen lässt von ihrem tausend-
köpfigen Hammer.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 2, S. 36, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-02_n0036.html)